So nicht, Schurke! – Gastrezension und Spieltest
Diese Rezension, die direkt mit einem Feldversuch einher geht, befasst sich mit dem Kinderrollenspiel So nicht, Schurke! von Uhrwerk Verlag und Pegasus Spiele. Unser Gastrezensent Fragmentis hat sich zusammen mit seinen Kindern das Spiel gründlich angesehen. Hier folgt nun sein mehr als ausführlicher Bericht. Gedanken zu einem Kinder-Einstiegssystem im Feldversuch.
Da haben wir ja Glück im Unglück gehabt!
Und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens ist trotz der Insolvenz des Uhrwerk Verlags das langersehnte Kinder-Rollenspiel So nicht, Schurke! noch erschienen. Und zweitens wurde es im April 2020 versendet, quasi pünktlich zur Corona-Krise, so das man sich direkt damit befassen konnte.
Das Spiel hat einen hohen Anspruch an sich selbst, denn es möchte Neulinge im Rollenspiel erreichen, und zwar Kinder wie Erwachsene. Auch will es ein weites Spektrum an Altersstufen abdecken (4–14 Jahre) und die dazugehörigen Erwachsenen zu Spielleitern, sowie die Kinder erst zu Nachwuchs-Spielern und dann auch zukünftiger Spielleitung machen.
Aber kann das System Kinder, Eltern und auch Neulinge begeistern? Was kann das System, nachdem jetzt im Moment so viele Kinder-Rollenspiele auf den Markt geworfen werden, weil da scheinbar eine Nische in der Rollenspiel-Nische entdeckt wurde? Wo man auf eine Generation rollenspielender Eltern trifft, die das Bedürfnis zur Weitergabe ihres Hobbys haben? Auf Nicht-Rollenspieler, die nach Beschäftigungen mit den Kindern suchen? Erfüllt es seine Zwecke und wie sehen die Reaktionen der Kinder aus?
Rollenspielnachwuchs-Tester und Rahmenbedingungen
Das Spiel musste sich im realen Leben beweisen. Schon im Vorfeld gab es für die Backer des Kickstarters das PDF. Und als noch unklar war, ob es So nicht, Schurke! noch in den Druck schafft, brachte also ein kickstartender Vater mit viel Tinte irgendwo im Ruhrpott das PDF auf Papier, schnitt die ganzen Marker und Karten aus und testete das Spiel ab Herbst des Jahres 2019 mit den Kindern.
Es sei noch gesagt: Der folgende Text richtet sich speziell an die Neulinge des Themas Rollenspiel oder Rollenspiel mit Kindern. Er beinhaltet auch persönliche Gedanken speziell zum Thema Sicherheitstechniken. Die Rahmenbedingungen der Spielrunden sind verschiedenst und gehen von kurzer Player-vs-Player-Runde mit krankem Kind auf dem Sofa zur Ablenkung bis hin zu „draußen im Garten“ mit 4 Spielern. Insgesamt wurde das Spiel mit 6 verschiedenen Kindern und 2 Erwachsenen getestet. Das Altersspektrum der Kinder geht von damals 7 bis heute 13 Jahren.
Wenn du Rollenspiele kennst, dann kannst du jetzt im Text bis zum nächsten Abschnitt vorspulen. Da diese Rezension sich jedoch speziell auch an Unerfahrene und Eltern richten soll, welche noch nie Rollenspiel gespielt haben, beschreibe ich nochmal kurz, worum es im Rollenspiel speziell auch mit Kindern geht.
Grundlegendes für den Einsteiger
Man stelle sich Folgendes vor (eine typische Szene in Kinderzimmern): die Kinder spielen mit ihren Lego-Figuren oder ihren Plastik-Elfen auf Pferden wie immer eine Geschichte, die sich spontan in ihrem Kopf ergibt. Sie denken sich aus, was ihren Super-Ninja so toll macht und leben dann ihre Rolle, ihre Figur aus. Und die besitzen manchmal mehr Fähigkeiten als das Kind selbst, denn sonst wären es ja keine Helden. Dieses vollkommen „natürliche“ Rollenspiel und auch den Moment, den wir Erwachsenen nicht so leicht erreichen, nämlich das Verschmelzen mit Figur und Spielsituation, macht sich ein Rollenspiel zunutze.
Jeder Spieler darf sich eine Figur aussuchen, die er bei So nicht, Schurke! gerne darstellen möchte, während einer aus der Gruppe (anfangs ein Erwachsener) eine Geschichte am Tisch erzählt. Oft steht zu Beginn der Geschichte ein Auftrag. Beispielsweise tritt im Einstiegsabenteuer eine Bürgermeisterin an die Kinder heran und braucht Hilfe. Der Tomatensoßen-Fluß muss wieder fließen und die Gruppe soll herausfinden, was passiert ist. Leider liegt die Lösung flussaufwärts im Wald und keiner, außer den Kinder-Abenteurern, ist besser geeignet, um sich mutig und schlau der Herausforderung zu stellen.
Kommt eine Figur in der „Geschichte“ an einen Punkt, wo es spannend wird und wirklich darauf ankommt, dass etwas gelingt (glitschige Mauer hochklettern, schweren Felsbrocken wegschieben, kniffeliges Schloss knacken, gegen jemanden kämpfen, einer Sahnetorte ausweichen oder jemandem helfen) wird gewürfelt, ob es klappt oder nicht. So lösen die Kinder ihre Problem manchmal auf sehr kreative Art und Weise und für den Erzähler manchmal verblüffend. Aber es entsteht eine spannende, gemeinsam gestaltete Abenteuergeschichte, an der alle beteiligt sind.
Soweit klar? Ok, dann zurück zu So nicht, Schurke! und ein paar Gedanken zum Thema Rollenspiel mit Kindern.
Safety first – nicht nur im Straßenverkehr
Wenn man sich über Rollenspiel mit Kindern unterhält, muss man immer auch bedenken, dass das Abenteuer im Kopf bei Kindern – je nach Alter – nicht bei Spielende abgeschaltet werden kann. Es erfordert also vom Spielsystem klare Regelanker und Sicherheitsgurte. Etwas, das der Spielleitung die Befürchtung nimmt, einen Alptraum zu provozieren und vor allem den jederzeitigen Ausstieg ermöglicht. So nicht, Schurke! hat gleich drei Mechanismen zum Schutz vor unerwünschten Nebenwirkungen.
Zum Ersten bietet das Spiel hier aufgrund seines Abenteuer-Ein- und Ausstiegs eine originelle, wie auch einfache Lösung. Die Kinder gehen durch ein Portal in die Spielwelt und in ihre Rolle. Und sie kehren später dann durch das Portal wieder bewusst in sich selbst und in ihr Zimmer zurück. Dabei hat das Portal hat eine Besonderheit: Es ist nur von Kindern zu benutzen. Monster und Schrecken können das Tor nicht passieren.
Schlappmachen statt Sterben
Zweitens gibt es einen Sicherheitsgurt für die Helden. Tod wird zwar in manchen TV-Serien inflationär benutzt, stellt aber mit Kindern oftmals ein Tabu-Thema in Familien dar. Wenn man bedenkt, wie schwer der Tod eines ans Herz gewachsenen Charakters so manchen erfahrenen und erwachsenen Spieler ankratzen kann, ist dies für Kinder, die sich mit Herzblut in ihre Figur versetzen, auch nicht einfach. Die Lösung ist einfach: Sie können nicht sterben, sondern nur schlappmachen. Und jeder Freund kann sich dem Schlappmacher gegenüber „fabelhaft“ verhalten, um die Figur wieder handlungsfähig zu machen. Das fördert den Gedanken, dass man einfach helfen und für Freunde da sein muss, wenn es ihnen nicht gut geht.
Zuletzt gibt es noch den Ruf „So nicht, Schurke!“. Ruft ein Kind diesen Spruch, bedeutet dies so etwas wie die X-Karte bei den Erwachsenen. Ein Kind merkt, dass es an die Grenze kommt, weil die Vorstellungskraft oder der Grusel-Faktor zu hoch wird. Dann unterbricht der Spielleiter die Szene konstruktiv, in dem beispielsweise eine unerwartete Hilfe kommt. Oder die Monster auf wundersame Weise verschwinden.
Artwork von So nicht, Schurke! – der erste Eindruck zählt
War ich bisher gewohnt Abenteuer und Bebilderung zu meinen ausgedachten Abenteuern für die Kindergruppen selbst rauszusuchen, bedeutete So nicht, Schurke! eine regenbogenfarbene Pastell-Comic-Faust in die Magengrube. Das war Tails of Equestria in modernem Märchenbuch mit Sponge-Bob gemixt.
Aber wen will man erreichen? So nicht, Schurke! richtet sich an Kinder und junge, interessierte Neueinsteiger. Aber nachdem auch die Neunjährige noch schmunzelnd sagte: „Das sieht aber etwas kitschig aus“, sah ich jedoch meine zugegebenermaßen vorgefasste Meinung bestätigt. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Die 13-jährige Testspielerin fand es gut, aber fasste es treffend zusammen: „Ein paar Figuren und Bilder hätten auch grimmiger aussehen dürfen“. Auch eine Alters-Eigenschaft, aber sehr passend formuliert.
Wechselnde Stile, aber für jeden etwas dabei
Für mich als Erwachsenen waren die auffällig und deutlich wechselnden Stile der Illustrationen zunächst gewöhnungsbedürftig. Doch wahrscheinlich ist diese Bildstil-Vielfalt einfach dem breiten Altersspektrum geschuldet, welches das Spiel abzudecken versucht. Dem Rollenspiel-Veteranen-Elternteil jedoch vermittelt dies ein Gefühl von Inkonsistenz. Verabschiedet man sich jedoch von dieser Haltung und bedenkt, für welche Zielgruppe das Spiel ist, dann erlebt man Verblüffendes: Das ringgebundene Notfalldruck-PDF war heiß umkämpftes Inspirationsgut für die Kinder. Alle Kinder schmökerten je nach Möglichkeit mehr oder weniger auf ihre altersentsprechende Weise in dem Buch herum. Die Bilder waren immer wieder Thema.
„Gib mir das Buch wieder, ich will auch die Ausrüstungen nochmal sehen!“, „Das Monster ist aber niedlich!“, „Die Hexe sieht aber albern aus!“, „So ein Roboter will ich auch sein!“ bis hin zur Erforschung der Landkarte. Fast alle Bilder sind so gestaltet, dass die Kinder sofort eine Assoziation oder einen Kommentar parat haben. Natürlich mit gnadenloser Ehrlichkeit und dass jeder etwas entdeckte, was er irgendwie gut fand. Selbst, wenn ein Kind etwas für zu „babyhaft“ hielt, fand es auf einer anderen Seite etwas, das es „unbedingt treffen“ wollte, nachdem klar war, dass alles zu einem Spiel gehört.
Weltenwanderer – das Setting von So nicht, Schurke!
Die Abenteuer in So nicht, Schurke! finden in der Welt Fabula statt: Einer Welt hinter dem Kinderzimmer, die durch Zauberei geschützte Geheimgänge oder Tore erreicht werden kann, die nur die Kinder kennen. Fabula besteht aus vier Landesteilen: Unter dem Bett, Aus dem Fenster, Im Schrank und Hinter den Büchern. Jeder Landesteil vermittelt eine typische Atmosphäre, sodass Abenteuer im Weltraum oder unter Wasser in „Aus dem Fenster“ stattfinden können, während Dinosaurier, Spione und kleine Indiana Jones sich „Hinter den Büchern“ wohl fühlen. „Im Schrank“ warten Drachen und Prinzessinnen auf die Helden und unter dem Bett warten natürlich Geister und Zombies auf die Kinder, wobei selbst diese Spielwelt das Thema Grusel angemessen vermittelt.
Die Orte findet man auf der großen Landkarte und den Auszügen der Landesteile, die jeder für sich beschrieben werden. Alleine die Namensgebung für manche ist schon witzig, so dass selbst der mitspielende Erwachsene schmunzeln muss. Ein Beispiel der Friedhof, der der „Tote-Winkel“ genannt wird, auf dem man gut Geister ansprechen kann, wenn man mal was wissen muss.
Charakterbogen – Figur im Kopf auf dem Blatt
Wie oben berichtet hat bei So nicht, Schurke! jede Figur Eigenschaften, die auf einem Blatt, dem sogenannten Charakterbogen, mit einem Zahlenwert festgehalten werden. Insgesamt gibt es vier Eigenschaften, nämlich stark, schnell, schlau und fabelhaft. Für jede Eigenschaft gibt es einen Vorrat in Form von Anfangspunkten, die im Spiel durch Marker dargestellt werden. Neben den Eigenschaften finden sich noch mehr Dinge auf dem Charakterbogen.
Und hier zeigt sich der differenzierte Ansatz des Spiels: Es gibt drei verschiedene Charakterbögen, die für das zunehmende Alter dann komplexer werden. Da aber alle drei Bögen das gleiche Grundprinzip haben, kann man durchaus verschiedenen Voraussetzungen und Altersstufen miteinander spielen lassen. Jeder hat den ihm entsprechenden Bogen, den er überschauen kann. So die Idee, welche auch funktioniert und nur dadurch begrenzt wird, dass eine 12-Jährige andere Spielideen hat als ein 7-Jähriger.
Unterschiedliche Charakterbögen für verschiedene Altersstufen
Was findet man noch auf dem Bogen? Je nach Stufe mehr oder weniger ausführlich: Das Feld für Freude-Marker ist bei allen obligatorisch und natürlich gibt es Raum für den Begleiter und seine Leckerlis werden hier auch abgelegt. Hier findet sich jedoch auch ein Problem, denn man kann nicht allen Göttern dienen. Der Kernsatz der Figur wird geschrieben und gelesen. Dies spart Platz. Aber das kann eine 4-Jährige meistens noch nicht. Hier muss man sich mit einem Bild behelfen, welches das Kind malt. Und natürlich merkt das Kind sich, dass es ein Pirat ist und vielleicht auch flink.
Etwas klein ausgefallen ist auch der Platz für Kram. Zwar ist die Idee des unendlich großen Rucksacks mit hilfreichen Armen sehr sympathisch (in anderen Systemen würde man es sich von Anfang an wünschen). Aber Kinder, die noch nicht oder nicht gut schreiben können, finden hier wenig Mal- oder Schreibplatz. Aber auch das kann man mit einem Zusatzblatt rasch klären. Rucksack-Bild drauf gedruckt und an getackert – Fertig. Alles lösbare Probleme, doch mit etwas Zusammenrücken auf dem Blatt hätte es vielleicht gepasst.
Anleitung und Abenteuer – in und an die Hand genommen
Die Spielanleitung von So nicht, Schurke! macht genau das, was das Spiel verspricht. Sie nimmt den Spieler und auch den Erzähler an die Hand, leitet ihn mit treffenden Beispielen durch die überschaubaren Regeln. Die Tabellen mit sinnvollen Vorschlägen sind immer vollständig auf einer Seite und Spielrundenbeispiele machen die Regeln an dem Punkt nachvollziehbar in der Anwendung. Gut gelungen sind auch die Textkästchen für den Erzähler, die auch in den ersten Abenteuern zu finden sind. Sie machen Vorschläge, wie man aus einer heiklen Situation herauskommt, das Spiel weiterführt oder was als nächstes passieren kann.
Die Kapitel sind sinnvoll in der Reihenfolge und – was mir besonders gut gefiel – es gibt oft kurze Zusammenfassungen z. B. zur Charaktererschaffung oder ein Glossar über die Begrifflichkeiten. Auch gibt es Tipps, wie man ein eigenes Abenteuer aufbaut und jeweils auf einer Seite, wie man das Spiel spielt. Sowohl für Spieler als auch Erzähler.
Ausführliche Materialien, Handouts und Briefe
Alle Materialien wie z. B. die Landkarten/Spielorte werden in den beiden Heften ebenso mitgeliefert wie Handouts (z. B. Briefe), welche die Kinder erhalten, in der Anleitung. Es gibt ausführlich bebilderte Ausrüstung mit Kostenaufstellung und treffenden Namen (Armkleber für den dritten Arm fand ich sehr folgerichtig, weil man sich das bei Shadowrun gerne mal gewünscht hätte).
Ein abwechslungsreicher Grundstock für viele Geschmäcker an Monstern und Gegenspielern fehlt auch nicht. Die Beschreibungen des Landes Fabula mit seinen Gegenden ist recht ausführlich und lädt dazu ein, das Land selbst nach seinem Geschmack zu verändern. Die Charaktere und Begleiter sind schön und immer nach dem gleichen Schema übersichtlich dargestellt. An Vorschlägen für Kniffe und Tricks fehlt es auch nicht.
Insgesamt und speziell für den Anfänger ist aber wichtig: Es gibt schon genug Vorgefertigtes. Man muss sich nicht viel ausdenken und alles wird einfach und mit Beispielen erklärt.
Das System hinter dem System von So nicht, Schurke!
Die nicht explizit benannte, aber in So nicht, Schurke! für den versierten Rollenspieler spürbare Basis bildet die Idee des Cypher-Systems von Monte Cook. Während dieses jedoch auf einem W20-System basiert, ist in der vereinfachten Kinder-Cypher-Version der sechseitige Würfel das Maß aller Dinge, was es den Kindern natürlich einfacher macht und Einsteigern, die vielleicht nur das PDF kaufen und von Hand alles ausschneiden, ermöglicht, die normalen Mensch-ärgere-Dich-nicht-Würfel zu nutzen.
Wenn du mit Kindern spielst, ist immer eine der ersten Fragen: „Was willst du sein, wen willst du spielen?“ Folgerichtig ist jeder Charakter durch einen Kernsatz definiert. Dieser besteht aus einem Nomen (z. B. Pirat), einem Adjektiv (z. B. schnell) und einem Verb (fliegen). Dieser Satz ist je nach Kompetenz des Kindes und den dadurch als geeignet eingestuften Charakterbogen mehr oder weniger ausführlich. Durch diesen Satz werden auch die Zusatzfähigkeiten und die Anfangspunkte in den Eigenschafts-Vorräten bestimmt, wodurch die Spielfigur definiert wird (für den Versierten: also quasi entsprechend den Pools im Cypher-System).
So bekommt jeder Charakter andere Stärken und Zusatzpunkte, je nachdem, was für eine Abenteurer-Figur die Spieler darstellen möchten. Je höher der Wert in den Eigenschaften, um so besser ist der Charakter/die Figur in der Eigenschaft und kann sie entsprechend oft auch besonders einsetzen. Denn zusätzlich gibt es noch die sogenannten „Kniffe“, besondere Talente, welche die Figur einsetzen kann. Auch kann man sich mit seinem Punktevorrat besonders anstrengen.
Ein Beispiel für den Würfel-Pool
Wenn beispielsweise ein Felsen bewegt werden muss, dann kann man von seinem Eigenschaftsvorrat einen Punkt abgeben und bekommt dadurch eine geringere Schwierigkeit, gegen die man würfeln muss. Dafür muss man eben dann einen Punkt aus seinem Vorrat (hier Stark) investieren. Es nutzt also in Eigenschaften hohe Punkte zu haben, aber wie im echten Leben: keiner ist perfekt und kann alles super-mega-toll.
Hat man keine Punkte mehr, dann hat man sich verausgabt und kann sich nicht mehr so anstrengen in dieser Eigenschaft oder seine Sonderfähigkeit, den Kniff, nicht mehr einsetzen. Dieses Prinzip wird an den Start-Charakteren in der Box rasch deutlich und ist auch für die kleinen oder unerfahrenen großen Spieler sehr eingängig: Ein Superheld ist natürlich stärker als ein Spion, eine Prinzessin fabelhafter als ein Astronaut und ein geschickter Pirat schneller als ein großes Monster.
Der Erzähler umschreibt die Herausforderung und benennt die Schwierigkeitsstufe, also den zu erreichenden Zielwert (von 1 bis 8). Kommt man mit einem Würfel-Wurf zusammen mit seinen Eigenschaftspunkten auf den zu erreichenden Zielwert oder übertrifft ihn sogar, dann schaffst man es.
Warum überhaupt würfeln?
Manche besondere Leistung oder einfach ein Gegenspieler werden zu einer Herausforderung. Dann hat es eine Konsequenz, wenn man das nicht schafft. Und das ist spannend. Kommt der Held die Mauer nicht rauf, kann er die Wachen nicht umschleichen. Ist er zu ungeschickt und alarmiert die Wachen, muss er sich denen stellen und sie vielleicht besiegen. Schafft der Held das nicht, dann kann er die Prinzessin nicht retten.
Die Eigenschaften Schnell, Stark und Schlau sind eindeutige Eigenschaften, aber was ist dieses Fabelhaft? Fabelhaft ist eine besondere Eigenschaft. Wenn man jemandem von seinen Freunden helfen möchte, z. B. etwas zu schaffen oder gesund zu werden, dann gibt man ihm einen Fabelhaft-Punkt aus seinem Vorrat und hilft ihm dabei, das zu schaffen, was er machen möchte. Im Spiel hilft man seinem Freund vielleicht mit einer Räuberleiter, die Mauer hochzukommen. Im System bedeutet dies, dass die Zielzahl niedriger wird, die der Freund erwürfeln muss.
Freude-Marker, Leckerli-Marker und fabelhaftes Helfen
So ähnlich sind auch weitere Sachen im Spiel aufgebaut: Freude-Marker füllen beispielsweise verlorene Eigenschaftsvorräte wieder auf, wenn sie für „Anstrengung“ ausgegeben wurden oder z. B. verloren gingen im Kampf. Leckerli-Marker zeigen an, wie oft du deinen Begleiter, so du denn einen hast, dazu bringen kannst, seinen Trick durchzuführen.
Wer das Prinzip einmal verstanden hat, der kennt quasi alle Regel-Grundsätze im Spiel. Was besonders ins Auge fällt: Die Regeln und die grundsätzlichen Zielwerte bleiben immer gleich oder verändern sich nur logisch erklärbar. Ist die Figur gut gerüstet („Rüstung“), hat sie einen Vorteil, wenn sie Schaden erhält, aber ist sie vielleicht sehr flink, kann sie besser ausweichen und abhauen („Hast“ symbolisiert diesen Vorteil).
Eignung für die Altersklasse
Die für So nicht, Schurke! vorgeschlagene Altersklasse ist groß gewählt. 4–14 Lebensjahre soll sie abdecken und die Spieler verschiedenen Alters auch im Spiel verbinden. Dies ist auch durchaus möglich. Eine Alterseinstufung ist aber schwierig, denn es kommt gerade in dieser Altersspanne vielfach auf das persönliche Vermögen, die Kompetenz und Fähigkeiten des individuellen Kindes an.
Im unteren Bereich bis 6 Jahren ist die Schreib- und Lesefähigkeit noch nicht gegeben. Hier ist unter Umständen dann je nach Fähigkeit des Kindes Improvisation gefragt. Auch der Zahlenraum bis 8 und die 6-seitigen Würfel sind für Anfänger gut geeignet und überfordern die Kleinsten nicht, denn alle kennen die Würfel und beherrschen für gewöhnlich im Kindergarten diesen Zahlenraum durch das Nutzen mit den üblichen Brettspielen recht sicher.
Ab der Altersstufe 6 bis ungefähr 10 spielt „So nicht, Schurke!“ seine vollen Möglichkeiten aus. Die übersichtlichen Listen und Tabellen laden auch die Kinder mit ihren jeweiligen Lesefähigkeiten zum Lesen und Abwägen des Einkaufs ein und diejenigen, welche noch lieber Bilder angucken, finden genug Reize, um z. B. die Ausrüstung einschätzen zu können.
Zwischen 6 und 10 glänzt das Spiel, ab 12 wird es etwas knapp
Ab 12 wird es dann etwas knapp. Meiner Einschätzung nach sollte hier spätestens das Spieler-Kind zum Spielleiter für die Kleineren werden, wenn man mit gemischten Gruppen spielt. Ältere Kinder wollen sich abgrenzen, nicht mehr mit den Kleinen spielen. Das älteste Mädchen (damals 12) aus der Testrunde beäugte das bunt-quirlige Gewusel zwar mit Spaß am Abenteuer und arbeitete sich durch die Landbeschreibungen, aber auch mit ein wenig Skepsis, denn so manche Bebilderung ist dann nicht mehr ganz so „cool“. Das Alters-Mittelfeld war da schon noch mehr an den Ausrüstungslisten interessiert. Hier reizt das Spiel eher dazu, durch die Leitung der Gruppe an Selbstvertrauen zu gewinnen.
Das Einstiegsabenteuer erfüllt den Zweck des Regel-Kennenlernens, kann aber natürlich von der Story her eine Pubertierende nicht unbedingt garantiert abholen. Der Kommentar der jetzt 13-Jährigen zur Bebilderung, dass es durchaus „grimmiger“ sein dürfte, weist einen mehr als deutlichen Weg dahin, dass die Reisen nicht mehr nach Fabula gehen werden. Als sie vor ein paar Jahren noch intensiv mit Elfenwelt-Figuren spielte, wäre das Spiel „der Burner“ für sie gewesen.
So nicht, Schurke! – Ein Überblick in Zahlen
Wir sprechen bei So nicht, Schurke! von einer Box für unter 30 Euro. Manches Rollenspielwerk und die Pizza-Familienbestellung kosten mehr. Die Qualität ist, wie bei Uhrwerk und Pegasus nicht anders zu erwarten, ausgezeichnet. Keine Rechtschreibpatzer im Text, die Marker ausreichend dick, die übergroßen Würfel für kleine Hände passend. Die Spielkarten sind ebenfalls übergroß, fühlen sich stabil an, sind gut lesbar und beinhalten Charakterbeschreibungen zum schnellen Abenteuer-Start, Tricks, Kniffe und nicht zuletzt auch Monster. Die Anleitung und das Abenteuerheft sind Leim- und Heftbindung auf wertigem, mattem Papier. Ausgewiesen ist das Spiel auf dem Karton ab dem Alter 5+, die Anleitung selbst spricht von 4–14 Lebensjahren.
Die Regeln passen auf ca. 20 Seiten des insgesamt 100 Seiten starken Regelbuchs. 30 Seiten beschäftigen sich dann mit der Charaktererschaffung inkl. Begleiter und Ausrüstungskatalog. Der Rest des Buches beschreibt mit vielen Vorschlägen das Land Fabula mit seinen Gegenden und besonderen Orten sowie seine Bewohner und Monster. Dabei ist der Textanteil nicht so hoch, sondern wird durch die reichhaltige Bebilderung und Textkästen aufgelockert. Alles in allem ist der Text so gestaltet, dass man spontane Fragen beim schnellen Nachschlagen beantwortet bekommt. Das zweite Heft, die Abenteuersammlung „Ab ins Abenteuer“, ist genauso gut ausgestattet und bringt alles für den schnellen Start mit. Der Abenteuerband umfasst 45 Seiten mit Materialien.
Für Rollenspiel-Neueinsteiger gute Anleitung und Material mitgeliefert
Für rollenspiel-unerfahrene Eltern, die das Spiel kaufen möchten, ist wichtig, dass sie nicht erst aufwändig alles vorbereiten müssen. Speziell die Neueinsteiger sind hier auf eine gute Anleitung und ausreichend Spiel-Material auch in Form von Vorschlägen angewiesen. Diese bekommt man mit So nicht, Schurke!, alles in Häppchen, didaktisch gut vorbereitet mitgeliefert. Die zuerst viel anmutenden 20 Seiten Regeln umfassen einen ausgezeichneten Einstieg in das Thema Rollenspiel und worum es geht. Da schon jetzt zwei zusätzliche Boxen erhältlich sind, sollte es auch für diejenigen, die sich nicht die Mühe machen möchten, selbst Abenteuer zu erfinden, genug Material-Nachschub geben.
Anfänger und Fortgeschrittene
Klare Kaufempfehlung meinerseits also, denn die Grundbox legt schon die Basis für viele Spielstunden und originelle Ablenkung neben dem Home-Schooling in der Familie. Diesen Eltern sei gesagt: Ihr kauft hier für unter 30 Euro neben quantitativer Zeit auch qualitative Zeit mit euren Kindern und könnt nichts falsch machen. Wenn ihr euch dennoch unsicher fühlt, kauft die Erweiterung „Ich bin Erzähler“, worin das Thema für Kinder und Nachwuchs-Spielleiter mit viel Unterstützung bearbeitet wird, eben auch für die Erwachsenen. Notwendig ist diese Box jedoch nicht zum Spielen. Nur Mut.
Dem erfahrenen Spieler, der die Tradition an die nächste Generation weitergeben möchte, sei gesagt: Zunächst wirkt die Bunt- und Pastell-Keule abschreckend und man empfindet auch im Gegensatz zu den von vielen Erwachsenen geliebten Waffenlisten die Ausrüstungsliste vielleicht als ein begrenztes Waffenarsenal. Und überhaupt würde man als mit Kindern ungeübter Spieler denken: wie kann alles an Waffen den gleichen Schaden verursachen?
Weniger ist oft mehr und fordert die eigene Kreativität
Und wo ist das vielleicht gewohnte ausgeklügelte Nachteil-System? Nun, hier ist weniger eben mehr und dann beispielsweise die eigene Kreativität gefordert. Der „Spion, der Pizza liebt“ kann ja auch plötzlich besonders schockiert sein, wenn ihn eine Horde wild gewordener Pizzen durch den Spaghetti-Wald verfolgt. Oder die Pizzen folgen ihm lautstark, wenn es auf leises Schleichen ankommt, weil sie ihn auch lieben. Auch muss sich der erfahrene Crunch-Spieler mit seinem inneren Widerstand gegen das nicht sofort ins Beuteschema passende Spiel auseinandersetzen, und sich von DSA-esken Bebilderungen für den Moment verabschieden. Denn eben diese Bebilderung ist es, welche die jüngeren Kinder immer wieder anspricht und abholt.
Und es ist auch gar nicht schlimm, wenn das eine Bild von den Kindern „babymäßig“ bewertet wird, denn auf der nächsten Seite findet sich wieder etwas Spannenderes. Wenn der erfahrene Spieler ein einfaches Regelsystem sucht, das er auch in den nächsten Jahren des Wachstums benutzen möchte, dann ist er auch hier gut beraten. Ein Abenteuer nach eigenem Gusto ist ja aus eigenen Erfahrungen rasch gezimmert.
Preis-Leistungs-Verhältnis von So nicht, Schurke!
Auch als Abwechslung zum eigenen Heimsystem eignet sich „So nicht, Schurke!“ gut und dadurch, dass es eben nicht von den Eltern kommt, reizt es vielleicht zum Spielen und Leiten mit den Freunden. Letztlich sind die einfach gehaltenen Texte und Hinweise an den Erzähler auch spannend zum Hinterfragen des eigenen Spielstils mit den Kindern. Meine klare Kaufempfehlung auch hier.
Was ich mir noch gewünscht hätte? Insgesamt hätte die Erweiterung „Ich bin der Erzähler“ und der Einstiegsabenteuer-Schritt-für-Schritt-Leitfaden der Grundbox gut zu Gesicht gestanden, für die ganz ungeübten Eltern. Auch hätte ich mir die Fabula-Landkarte in der Box gewünscht. Scannen, Vergrößern und Ausdrucken geht natürlich, „cooler“ wäre es aber mit der Landkarte. Dafür hätte ich auch 5 Euro mehr bezahlt. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau: das Preis-Leistungs-Verhältnis ist hier trotzdem ausgezeichnet.
Ein Wort zu der ersten Erweiterung „Ich bin Erzähler“
Besonders gut ist das separate Einstiegsabenteuer mit dem verstopften Flusslauf. Hier wird der Erzähler egal welchen Alters Schritt für Schritt bei der Durchführung begleitet, sodass jeder, der noch nie mit Rollenspiel in Berührung kam, mit Mechanik und der Erzählerrolle vertraut werden kann. Es dauerte ca. 40 Minuten, dann waren alle am Spieltisch bereit für weitere Abenteuer, auch, wenn für versierte Rollenspielkinder und Ältere die Geschichte nicht die spannendste Herausforderung ist. Aber der erfahrene Spielleiter wird schon das eine oder andere für seine Abenteurer im Rucksack haben.