Rollenspiel in Japan
Nachdem uns DSAmania vor einigen Tagen ein wenig über die Rollenspielszene in Russland erzählte, schauen wir dieses Mal in den fernen Osten. Genauer führt uns Torsten, online auch als Rattazustra bekannt, nach Japan und erzählt uns etwas über das Rollenspiel in Japan.
Pen & Paper Rollenspiele sind keineswegs ein westliches Phänomen. Sicher, die meisten denken zuallererst an große Titel des englischsprachigen Marktes wie D&D, Shadowrun, die World of Darkness und GURPS, oder an die deutschsprachigen Platzhirsche unserer Kindheit: DSA und Midgard. Das recht eigentümliche Punkt-1D Kraut-Shadowrun könnte man noch hinzuzählen, welches mit seinem eingemauerten Anarcho-Punker-Berlin schon recht surrealistische Züge hatte. Besonders wenn man selbst Berliner war. Da schaute man aus dem Fenster, zurück in das Buch und krümmte sich fast vor lachen. Oder man fand es wahnsinnig cool. In meinem Bekanntenkreis gab es beides.
Seltsamer geht immer
Nichts jedoch könnte die phänomenale Absurdität überbieten, in der sich japanische Rollenspiele ergehen. Zwar denken die dortigen Rollenspieler auch oft zu allererst an D&D. Schließlich ist Dungeons & Dragons das Rollenspiel gewesen, dass den japanischen Markt für unser Hobby erschlossen hat. Danach hört es aber mit den Ähnlichkeiten sehr schnell auf, denn die eigenständigen, japanischen Rollenspiele haben eine gewisse Tendenz dazu genauso merkwürdig zu sein, wie viele andere Dinge aus dem Reich der Sonne. Während meiner Jugend in den 90ern gab es dafür einen Ausruf, der vieles sehr treffend zusammenfasste: „WTF Japan?!“
Japan ist anders
Japan ist anders. Oftmals in viel drastischerem Maß, als die meisten es sich vorstellen können. Viele Dinge sind so abgefahren, dass man sie schnell als rassistisches Vorurteil abtun möchte. Zum Beispiel die Sache mit dem Platzmangel. Man könnte es für ein albernes Klischee halten, dass alles in Japan kleiner ist als bei uns, geschweige denn in den USA, wo ja bekanntlich alles gewaltig ist. Doch weit gefehlt! Es stimmt tatsächlich. So sehr sogar, dass Rollenspielbücher in Japan kleiner sind als bei uns. Zumindest die japanischen Eigenproduktionen tendieren dazu im Mangaformat produziert zu werden. Das liegt vor allem daran, dass die Buch- und Comicläden so klein sind und das diese kleineren Läden vollgestopfter sind und kleinere Regalfächer haben.
Alles streng nach Norm
Nein, es ist tatsächlich kein Scherz, dass Rollenspielbücher im Letter-Format oder in DIN A4 gewisse Schwierigkeiten haben in Japan im Einzelhandel zu landen. Natürlich kann man sie online bestellen und das ist auch wie der durchschnittliche Rollenspieler in Japan an seine D&D Bücher kommt. Die einheimischen Spiele halten sich jedoch an den Marktstandard, den Mangahefte betoniert haben.
Auch die Papier- und Druckqualität ist oft eine andere. Man darf raten. Manga. Klebebindung, Softcover, billiges Papier und Schwarzweißdruck. Illustrationen sind überwiegend im Mangastil gehalten, aber generell betrachtet überraschend rar. Was Bebilderung angeht sind heutige japanische Rollenspiele oft vergleichbar mit unseren Spielen der 80er. Inkonsistente Bildqualität, sowie geringer Bezug zwischen Bild und Text.
Bei den Würfeln dominieren übrigens der W6 und W10, wie in kaum einem anderen Land. Das liegt vor allem daran, dass alle Spezialwürfel in Japan lange Zeit kaum verfügbar waren. W20, W12 und W4 bekam man nur in sehr wenigen Fachgeschäften, was in der Vor-Amazonischen Zeit für meisten japanischen Rollenspieler gleichbedeutend mit überhaupt nicht war. Der klassische W6 hingegen war leicht zu bekommen und auch an W10 zu gelangen war vergleichsweise unproblematisch. Diese wurden in Japan bereits während des zweiten Weltkriegs für militärische Simulationsspiele verwendet.
Ritter mit Katana und Barden mit Shamisen
Auch ansonsten ist alles sehr viel japanischer. Und das in einem Maße, dass wir umgekehrt selbst dann nicht erreichen würden, wenn jeder Mittelreicher bei DSA in Lederhosen herumliefe und ständig Schweinshaxen äße. Selbst japanische Fantasy-Rollenspiele, die mit Bildern europäischer Burgen und Schlösser arbeiten (Neuschwanstein ist äußerst beliebt), verpassen ihren Rittern am Ende dennoch nicht selten den kompletten Samurai Codex, säumen die Wege mit Wandermönchen und verteilen Schreinmaiden in den Tempeln.
Die meisten Japanischen Rollenspiele erinnern daher ein wenig an das Umkehrbild dessen, was Deutsche Rentner beim großen Buffet im Chinarestaurant zu Weihnachten machen, wenn die Verwandtschaft sie wider Willen hingeschleppt hat: Mit Bratkartoffeln und Pommes auf dem Teller zurückkehren und dazu ein Bier bestellen.
Jailbreak
All das blieb uns westlichen Rollenspielern die längste Zeit über verborgen. Schließlich können die meisten von uns kein japanisch und ehe es Amazon gab wäre man ohnehin nie sinnvoll an solche Bücher herangekommen, ohne hochspezifisches Insiderwissen zu besitzen. Aber diese Zeiten sind vorbei! Mehr und mehr japanische Rollenspiele werden mittlerweile ins Englische übersetzt! Rollenspiel-kulturell ist das ein wenig wie der Jailbreak für Mobilgeräte.
Ob sie einen auch nur annähernd vergleichbaren Siegeszug antreten können wie es Manga und Anime vor ihnen taten bleibt abzuwarten. Die Chancen stehen wohl eher schlecht. Das bedeutet aber nicht, dass japanische Rollenspiele einfach so ignoriert werden sollten. Ist es nicht gelegentlich das was besonders seltsam und absurd ist, das uns am meisten inspiriert? Monty Python’s Flying Circus war schließlich auch alles andere als gewöhnlich.
Wir werden den Blick also ein wenig in die östliche Ferne schweifen lassen und euch nach und nach ein paar besonders bemerkenswerte, witzige, absurde, seltsame und beeindruckende Produkte des japanischen Rollenspielmarktes vorstellen.
Die Spanne reicht vom romantisch-verspielten Ryuutama, über das (auch laut eigener Aussage) herzerwärmende Golden Sky Stories, über Spiele aus Weltschmerz und Nihilismus, bis zu völlig abgefahrenen Kuriositäten wie MAID, einem Rollenspiel rund um kleptomanische, sado-masochistisch veranlagte Katzenmädchen, Killerroboter und Studentinnen, die allesamt als Hausmädchen arbeiten.
In diesem Sinne: Watashi no hobākurafuto wa unagi de ippai desu!
Sayonara!
Das was ich immer faszinierend finde ist, dass in Japan wirklich alles mit allem kombiniert wird und es funktioniert. Egal ob Schulmädchen und Panzer, Dämonen und Eiskunstlauf oderRappende Seehunde – alles ist möglich und nichts kommt unpassend rüber. Irgendwie wird es immer geschafft, diese zu kombinieren.
Zumindest mir sind eine Menge Dinge aus Japan bekannt, die ich definitiv als völlig unpassend bezeichnen würde – zumindest als geschmacklos – und es gibt Zeug wo sich mir echt die Fußnägel aufrollen. Aber du hast natürlich trotzdem Recht. Die Japaner haben eine gewisse Unbefangenheit bei ausländischen Kulturelementen, die sie dazu befähigt vieles neu zusammenzusetzen.
Ja, bin da kein Profi-Kenner, aber mir hat bereits viel gefallen was ich so gesehen habe… und war selbst überrascht, da ich am Anfang doch eher skeptisch war.
Danke, sehr interessant und unterhaltsam geschrieben!
Danke! Schön das es dir gefallen hat. 🙂
Das Spiel heißt übrigens Golden Sky Stories. The Color of the Sky ist eine Erweiterung. dazu.
Arg! Aber natürlich! Danke für den Hinweis. Wird sofort korrigiert! 🙂