Die Antagonisten-Falle: Alle gegen einen, einer gegen Alle
Antagonisten sind das Salz in der Suppe jeder Erzählung. Sie sind die wichtigsten Figuren, die eine Geschichte aufbieten kann, und das aus vielfältigen Gründen. Es ist ihre Aufgabe, sich gegen das Vorgehen der Helden zu richten und dem Protagonisten den Spiegel vorzuhalten.
Die meisten erkennen ganz intuitiv den Gegenspieler in einer Geschichte. In einer besonders mitreißenden Story lernen wir diesen zu verstehen, zu hassen und manchmal auch zu lieben. Ein gut gestalteter Antagonist ist unerlässlich für jede Geschichte, gleichgültig ob Roman, Film oder Pen & Paper Rollenspiel.
Umso ärgerlicher ist es, wenn als SL oder Autor eines Abenteuers die Rechnung mit dieser wichtigen Variable für das Funktionieren eines Plots, nicht aufgeht. Denn was eigentlich in einer bestehenden Spielwelt mit festen Gegenspielern und vorgegebenen Strukturen ganz einfach sein sollte, erweist sich häufig doch als gar nicht so intuitiv zugänglich. Was man also beim Einsatz von Antagonisten alles beachten sollte und in welche Fettnäpfchen man dabei treten kann, soll in diesem Beitrag beleuchtet werden.
Was ist ein guter Antagonist?
Dieser Frage kann und sollte man deutlich mehr Zeit widmen und viele Blogs haben dazu auch bereits guten Beitrag geleistet. Kaum eine Rolle ist so bekannt und dramaturgisch so geschliffen, wie die des Antagonisten. Er ist der Gegenspieler und damit der Wille, der sich dem Protagonisten entgegenstellt. An ihm misst sich der Held einer Geschichte, von ihm wird er herausgefordert und im besten Fall sowohl auf persönlicher Ebene wie auch moralisch und philosophisch getestet. Kurzum, alles dreht sich um den Antagonisten, denn er ist Fokus der Spieleremotionen und Spiegel für die Charaktere, die Akteure der gemeinsam erspielten Geschichte.
Jedoch ist die Definition natürlich letztlich allgemein gehalten und nicht konkret. Wie man also in der Praxis für seine eigene Geschichte den passenden Antagonisten schreibt, ist eine wichtige Frage. Zu dieser möchte ich gerne in einem späteren Beitrag meine Gedanken mit euch teilen. Für den Moment sollte sie allerdings zurückgestellt werden.
Antagonisten im Rollenspiel
Antagonisten sind in vielen Rollenspielen schon vorgegeben. Szenarien, Abenteuer und Hintergrundbeschreibungen bieten eine breite Vielfalt von Gestalten! Diese haben häufig auch das Potenzial, als Gegenspieler für die Charaktere der eigenen Runde aufzutauchen und ihnen Steine in den Weg zu legen.
Gerade wenn man sich mit Kaufabenteuern durch seine Spielwelt bewegt, ist es nicht der Spielleiter oder die eigene Rollenspielrunde, die den Antagonisten setzt, sondern eben ein fremder Autor, der diesen für seine Geschichte bestimmt hat.
Die Antagonisten-Falle
Mit dem Gegenspieler steht und fällt die gesamte Handlung. Hier kann man sehr leicht in einige Fallstricke treten, die gerade bei „vorgefertigten“ Schurken dazu einladen, sich zu verheddern und nicht das Beste aus dem Abenteuer herauszuholen. Denn ein Rollenspiel-Antagonist wird durch Spielwelt und Spieler sehr viel mehr geprüft, als es bei einem Roman-Antagonisten der Fall ist!
In einem Roman hat der Autor zugleich auch die Perspektive des Protagonisten in der Hand. Im Rollenspiel sind die Protagonisten die Mitspieler der Spielleitung, und ihre Charaktere, ihre Handlungen und ihre Ansichten unterliegen eben nicht der Kontrolle eines Autors, der alles aufeinander abstimmen kann.
Erste Falle: Gegenspiel ohne Gegenspieler
Was wäre, wenn Neo nicht die rote Pille schluckt? Oder lieber ein fliegender Superheld in einer fiktiven Welt als ein Normalsterblicher in der Realität wäre? Wenn er den Antagonisten gar nicht als solchen begreift, sondern vielleicht sogar seine Vision teilt? Was, wenn er glaubt, dass die Menschen besser dran sind, so wie es ihnen gerade geht? Sind sie nicht zufrieden und glücklich in ihrer fiktiven Realität? Haben sie nicht selbst ihre Welt zugrunde gerichtet? Verdienen sie einen Retter?
Die Frage nach der Motivation ist eine der entscheidendsten bei der Erstellung eines Charakters (siehe Donnerhaus) und für Antagonisten ebenso wichtig wie für Protagonisten.
Letztlich aber ist es hier sogar noch entscheidender, dass beide zu konträren Schlüssen kommen. Eine Welt, wie sie der Antagonist gestalten möchte (oder ein Ereignis, wie er es heraufbeschwören will), sollte etwas sein, was die Protagonisten verhindern wollen. Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach, denn man möchte ja auch moralische Entscheidungen. Man möchte ein Spannungsfeld und vielleicht auch die Verlockung des antagonistischen Weltbildes. Dennoch, die Spannung lebt vom Gegensatz der Interessen.
Es soll den Protagonisten auch nicht allzu leicht fallen, die Weltsicht des Feindes zu verwerfen. Erst, wenn sie ihren Feind verstehen können, dann können sie ihn auch wirklich hassen. Es ist jedoch schwierig, eine Figur zu erschaffen, die – ohne direkt in das absolute Böse abzugleiten – etwas derartig radikal verändern möchte, was eine breite Masse aller möglichen Protagonisten schreckt.
Dieses Problem haben hauptsächlich Kaufabenteuer, die aus diesem Grund gerne in die zweite Antagonisten-Falle tappen.
Zweite Falle: Einer gegen alle, alle gegen einen
Wenn man eine breite Masse erreichen will, ist es verlockend, einen ebenso umfangreich aufgestellten Bösewicht zu verwenden, nicht wahr? Einen Gegenspieler, den viele Spieler kennen und den sie aus dem Hintergrund heraus schon als Antagonisten verstanden haben. Wenn man die Wahl hat, einen neuen Charakter zu implementieren oder einen aus der Spielwelt bekannten zu nehmen, ist dies meistens eine recht einfache Entscheidung. Doch auch Antagonisten kann man überstrapazieren. Wenn es immer die dunkle Königin ist, die auftaucht, um den finsteren Fluch auszusprechen, wenn es immer der gleiche Feldherr ist, der die gegnerische Kriegspartei anführt, wenn es immer der gleiche Feind ist, der immer wieder in einem ähnlichen Kontext auftaucht, dann kann dies den Gegenspieler ausbrennen und seinen dramaturgischen Wert erschöpfen.
Außerdem macht es die Spielwelt schnell auch einmal unglaubwürdig, wenn quasi hinter jeder finsteren Tat genau diese eine Gestalt steckt. Aus Kinderserien kennt man das noch eher und selbst dort „rotiert“ man die Gegenspieler häufiger durch, damit eben nicht immer nur Herzog Igzorn der Feind der Gummibärenbande ist.
Dritte Falle: Der passende Plot
Damit eng verbunden ist der Umstand, dass der Plot eines Abenteuers in seinem Umfang, seiner Tragweite und seiner Dramaturgie zum Antagonisten passen muss. Für kleine Plots ist es häufig einfacher, einen eigenen Gegenspieler zu entwickeln. Den Räuberhauptmann im Dunkelwald kann ich nach Belieben setzen, den finsteren Herrscher in den Schattenlanden, der ein ganzes lichtes Königreich bedrohen kann, bekomme ich meistens von der Spielwelt vorgegeben.
Genau an dieser Stelle gilt es dann aber, eine gute Wahl zu treffen. Nicht jeder vorgefertigte Bösewicht eignet sich wirklich als Gegenspieler in dem vom Autor erdachten Szenario. Auch spielen andere Dinge wie geografische Nähe, Skalierung der Ereignisse (also betrifft es eine Dorfgemeinschaft oder sind sie welterschütternd) und Motivation des NSC eine große Rolle.
Von der Fallhöhe eines Schurken
Am Beispiel des allseits beliebten dunklen Herrschers Sauron möchte ich diese dritte Antagonisten-Falle verdeutlichen. Obwohl die Ereignisse um die Quest des Ringes nun wahrlich welterschütternd sind, taucht nur an wenigen Stellen der dunkle Herrscher selbst auf. Zwar ist er Triebfeder für viele Ereignisse, jedoch kaum einmal selbst Akteur.
Eine sinnvolle Entscheidung, denn zum einen ist Sauron nun wirklich viel zu mächtig, um unsere Hobbits zu konfrontieren (das wäre ein kurzer Spaß) und zum anderen hat er „Wichtigeres“ zu tun, als sich persönlich darum zu kümmern, das Land zu Fuß nach einem einzelnen Hobbit abzusuchen (abseits davon, dass er eben als Auge an seinem Turm festhängt, aber das nur am Rande).
Obwohl er aber nicht selbst tätig wird, ist er beständig eine Bedrohung, und zwar für alle freien Lande. Sein Wirken erstreckt sich über seine physische Präsenz hinaus. Die wirklichen, anwesenden Antagonisten sind seine Gefolgsleute, die so als seine Avatare fungieren.
Zu keinem Zeitpunkt gibt es eine direkte Konfrontation mit Sauron selbst und das aus gutem Grund. Es ist schlicht nicht seine Aufgabe, der besiegbare Feind im Kampf zu sein. In Rollenspielen hingegen findet man häufiger die Tendenz, die Fallhöhe von Antagonisten falsch einzuschätzen und damit die Glaubwürdigkeit der Spielwelt zu strapazieren.
Während es vollkommen in Ordnung ist, dass der Orkhäuptling in einer Begegnung als Gegenspieler auftaucht (und fällt), mag dies bei der dunklen Prälatin des finsteren Dämonenkultes, die auf hunderte und tausende Anhänger zurückgreifen kann und viele verschiedene Komplotte zugleich spinnt, keineswegs sinnvoll sein (oder muss von langer Hand vorbereitet werden). Kurzum, auch bei Antagonisten gilt es, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Wie mache ich meinen Antagonisten besser?
Das ist schließlich die Frage, vor der jede Spielleitung steht, die bemerkt, dass der Antagonist ihres vorgegebenen Szenarios in eine dieser Fallen getappt ist. Denn der erste Schritt besteht ja immer darin, zu erkennen, ob überhaupt ein Problem vorliegt. Zwei Fallstricke lassen sich recht einfach umschiffen. Ist die Fallhöhe des Antagonisten zu hoch für den entsprechenden Plot, dann kann man beispielsweise einen seiner Untergebenen an dessen Stelle schicken. Statt dem dunklen Herrscher konfrontieren die Helden seine Ringgeister auf der Wetterspitze.
Auch das Gegenspiel ohne Gegenspieler lässt sich meistens gut verhindern, indem man die Protagonisten in Absprache mit seinen Spielern auf das entsprechende Szenario zuschneidet. Kommunikation ist ja im Rollenspiel ohnehin Kernthema und auch bei der gemeinsamen Erstellung einer Gruppenkonstellation natürlich enorm wichtig. Meistens stolpert man also nur in diese Falle, wenn man sich vorher nicht genug ausgetauscht hat oder Spieler bzw. Spielleitung spontan Charaktere oder den Antagonisten umbiegen.
Schwieriger wird es, wenn die Motivation des NSC oder seine Mittel eigentlich nicht zum geplanten Plot passen oder in einem anderen Widerspruch stehen. Denn der Austausch des Gegenspielers ist eben keine Kleinigkeit. Häufig sind viele dramaturgische Stricke um den geplanten Feind verwoben und das Umbauen erfordert Zeit und Arbeit, die man an vielen Stellen aufwenden muss. Sollte hingegen der Antagonist einfach austauschbar sein, dann ist dies ein Indiz auf fehlende dramaturgische Tiefe der Geschichte. So oder so, hier erwartet den SL eine Menge Arbeit. Meistens ist es mit dem Umschreiben einiger Namen nicht getan. Dann gilt es abzuwägen, ob die Plotidee selbst genug Material hergibt, um sich das Szenario mit seinem eigenen Antagonisten zu eigen zu machen.
Zusammenfassung
Der Antagonist ist die wichtigste Person des Abenteuers. Daher sollte die Figur bedacht ausgesucht und aufgebaut werden und sowohl in Sachen Motivation, Fallhöhe und Wahl der Mittel zu den Ereignissen passen, die den Plot abbilden. Im besten Fall geht dies natürlich Hand in Hand, sodass sich der Plot aus der Motivation des Antagonisten entwickelt und nicht der Antagonist entweder zwangsweise einem laufenden Plot zugeordnet wird oder ihm ein Plot gegeben wird, weil das Antagonisten-Roulette jetzt eben auf diesen NSC zeigte.
Was ist eure Meinung zu den Fallstricken für Antagonisten? Alles Unsinn oder habt ihr selbst schonmal die ein oder andere Fehlbesetzung am Spieltisch erlebt oder als Spielleitung ausgebügelt? Lasst uns einen Kommentar da!
Meine Schurken werden oft albern und nicht ernst genommen, egal wie cool sie auf dem Papier klangen:(
Das habe ich auch schon erlebt, allerdings lege ich es manchmal auch genau darauf an – ich liebe humorvolles Spiel und manches Mal wird ein Antagonist in einem solchen Fall gnadenlos unterschätzt – mit verheerenden Folgen. Immerhin ist „Ihr habt mich nicht ernstgenommen, nun werdet ihr meine Rache spüren!“ eine häufige und gut nachvollziehbare Motivation für Schurken.
Unser Autor Sumaro hat allerdings angedeutet, dass es noch weitere Artikel zu Antagonisten geben könnte. Vielleicht kann er auch darauf eingehen. 🙂
Die Fallhöhe hatte ich einmal ganz konkret als Problem. So ist der eigentlich sehr coole, ziemlich mächtige Schurke sehr früh auf die Helden gestoßen und konnte an der Stelle besiegt werden, weil ich ihn im Grunde an die Position eines seiner Handlanger gestellt habe.