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Lovecraftesque – Erzählspiel um kosmischen Horror

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Lovecraftesque von Black Armada ist ein spielleiterloses (GMless) Erzählspiel aus dem Genre des kosmischen Horrors à la Lovecraft. Wir haben uns das Spiel angeschaut und berichten euch davon.

Das Setting von Lovecraftesque

Lovecraftesque ist ein Rollenspielsystem, das in einer an Lovecrafts Werk angelehnten Horrorrealität spielt. Hier besteht bereits ein Unterschied zu Spielen wie Call of Cthulhu und FHTAGN. Diese beiden spielen in Lovecrafts Horroruniversum selbst. In Lovecraftesque geht es jedoch darum, dass alle Mitspieler gemeinsam ein eigenes Universum erschaffen, in dem ihre Geschichten stattfinden. Lovecraftesque kann man als „Lovecraft-artig“ übersetzen, und das trifft den Kern des Spiels sehr gut. Es geht darum, etwas Lovecraft-artiges zu erschaffen, das auf Lovecrafts Ideen und Elementen des kosmischen Horrors basiert, aber dennoch etwas Eigenständiges ist.

Um ein entsprechendes Universum und eine entsprechende Spielatmosphäre zu schaffen, haben sich die Macher von Lovecraftesque einiges einfallen lassen. Diese Unterschiede zu den verbreiteten Cosmic-Horror-Rollenspielen machen sich auch im Regelwerk bemerkbar.

Das Regelwerk

Lovecraftesque ist ein Storytelling-Spiel und die Macher nehmen es mit dem Storytelling sehr genau. Man sucht im gesamten Regelwerk vergeblich nach Spielwerten und Tabellen. Nichts ist festgeschrieben. Es würde dem Spielprinzip auch widersprechen, würde einer der Spieler oder der Spielleiter würfeln. Das wortwörtliche Erzählen einer Geschichte steht im Vordergrund. Entsprechend ist die Gruppendynamik innerhalb der Spielrunde eine andere als bei anderen Rollenspielen. Statt einer Spielleiter-Spieler-Dynamik folgt Lovecraftesque einer Dynamik aus Spielleiter, primärem Spieler und sekundären Spielern.

Der Spielleiter heißt bei Lovecraftesque Narrator (Erzähler), der/die primäre SpielerIn Witness (Zeuge) und die sekundären Spieler Watcher (Beobachter). Die Aufgaben innerhalb des Spiels sind ebenso fest verteilt wie die Rollen. Der Narrator ist der Erzähler der Geschichte, der/die Witness der Protagonist der Geschichte (vergleichbar mit Wilmarth in Der Flüsterer im Dunkeln oder Francis Wayland Thurston in Der Ruf des Cthulhu). Die Watcher haben die Aufgabe, die vom Narrator beschriebenen Szenen auszugestalten und ihnen mehr Tiefe und Details zu geben, natürlich alles in einem Stil, der dem von H.P. Lovecraft entspricht.

Hier ein Beispiel:

Narrator: „Der Raum ist gefüllt mit seltsamen Kuriositäten, die aus der ganzen Welt zusammengetragen wurden.“

Watcher 1: „Einige der Exponate sind schaurige Kreaturen, die aus der Hand eines gestörten Tierpräparators stammen.“

Watcher 2: „Ihre Augen scheinen dir im Zwielicht der Taschenlampe durch den Raum zu folgen.“

Spielbeispiel Narrator und 2 Watcher

Die Watcher haben also keine festgelegte Rolle wie in den meisten anderen Rollenspielen. Vielmehr konstruieren sie zusammen mit dem Narrator die Welt, in der sich der/die Witness bewegt.

Das ist natürlich ein ganz anderes Spelerlebnis, als man es von klassischen Rollenspielen gewohnt ist. Allerdings geht es bei Lovecratesque auch primär um Storytelling und erst in zweiter Linie um das Spielen von Rollen.

Besonderheiten des Regelwerks von Lovecraftesque

Um eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen, Spielfluss zu ermöglichen und das Spiel mit solchen festgelegten Rollen reibungslos zu gestalten, besitzt das Regelwerk einige Besonderheiten:

Spielstruktur und Special Cards:

Das Spiel ist in drei festgelegte Segmente geteilt, wobei Segment drei dann erneut in vier Untersegmente geteilt wird.

In Teil 1 und 2 dreht sich alles darum, Hinweise auf den kosmischen Schrecken zu geben, den der/die Witness erleben wird. Diese Hinweise können z. B. seltsame Fußabdrücke, bizarre Artefakte oder ein gehäuftes Auftreten von Wahnsinn sein. In Teil 2 kommen dann noch die Special Cards hinzu. Diese sind zum Ausdrucken/Kopieren im Regelwerk vorhanden. Jede Special Card beschreibt ein tatsächlich paranormales oder schreckliches Ereignis, das man rational nicht mehr erklären kann. Das weist dann natürlich noch mehr auf den kosmischen Schrecken hin, der auf den/die Witness wartet. Entsprechend bringen Special Cards die Geschichte erheblich voran und geben ihr eine größere Dynamik.

Teil 3 führt den/die Witness direkt zu einer Konfrontation mit dem kosmischen Schrecken. Hier wird alles offenbart und das Grauen Realität, das sich über die vorangegangenen Szenen aufgebaut und angedeutet hat. Wie erwähnt, ist Teil 3 weiter in vier Abschnitte unterteilt.

Diese sind:

  • Force Majeur – Eine einschneidendere Enthüllung, die die Reise in die Finsternis beginnen lässt.
  • Journey into Darkness – Die Reise in die Finsternis. Sie führt zum zentralen Schrecken der Geschichte. Dies kann eine tatsächliche Reise sein, eine Traumreise oder das ausführliche Studium eines Buches usw.
  • The Final Horror – Der finale Schrecken: Der/die Witness tritt dem kosmischen Schrecken innerhalb der Geschichte gegenüber.
  • Epilogue – Der Epilog, in dem der Narrotor erzählt, was das endgültige Schicksal des/der Witness war, und die Geschichte beendet.

Alternative Spielgestaltung

Wie man sich denken kann, kommt der/die Witness hier nicht lebend oder geistig gesund raus. Für Spieler, die nicht immer ein solches Ende wollen, gibt es aber auch Vorschläge für alternative Spielabläufe. Die Regeln können ebenso für eine klassische Horrorgeschichte oder für Comedy Horror verwendet werden. Gerade letztere Alternative finde ich persönlich sehr reizvoll.

Kämpfe, Rätsel und andere Hindernisse im Storytelling-Spiel

Da es bei Lovecraftesque keine Werte und Würfel gibt, wird jede Art von Hindernis auch anders gehandhabt als bei anderen Rollenspielen. Physische Kämpfe sollten möglichst vermieden werden, v. a. weil sie in Bezug auf die Hauptakteure bei Lovecraft nicht vorkommen.

Sollte die Geschichte an einem Punkt ankommen, an dem der/die Witness ein Rätsel lösen, ein Hindernis überwinden oder in irgendeiner Weise eine Fähigkeit einsetzen muss, entscheidet der Narrator darüber, ob es gelingt oder nicht. Dies sollte von der Vorgeschichte des/der Witness und der Relevanz für den Spielfluss abhängen. Erneut steht hier das reibungslose Erzählen einer Geschichte im Vordergrund.

Umgang mit Wahnsinn in Lovecraftesque

Da in einem lovecraftschen Universum der Wahnsinn überall lauern kann, enthält auch Lovecraftesque sehr genaue Regeln für Wahnsinn im Spiel. Hierbei ist die Sensibilität bemerkenswert, mit der dieses heikle Thema angegangen wird. Den Autoren ist offensichtlich sehr daran gelegen, zu vermeiden, dass wahnsinnige Charaktere als schwach, gebrochen oder unrettbar verloren angesehen werden. Ebenso tun sie alles, um zu verhindern, dass beim Spiel mit dem Wahnsinn nur Klischees und Vorurteile bedient werden. Vielmehr liegt ihnen einiges daran, Wahnsinn und Geistesstörungen wissenschaftlich zu erklären. Ebenso zeigen sie Hintergründe auf und gehen bei der Beschreibung, wie sich Wahnsinn tatsächlich äußert, ins Detail.

Ich kann nur sagen: Hut ab!

Spielmaterial

Das Spielmaterial gibt es sowohl zum Download bei DriveThruRPG als auch bei Black Armada, dem Herausgeber. Gleichzeitig kann man das Regelbuch auch als gebundene Ausgabe bestellen.

Das Grundregelwerk bietet alles, was man zum Spielen benötigt. Bestiarien oder Kampagnenbände sind allein vom Spielprinzip her nicht nötig. Deshalb hat das Regewerk auch einen massiven Anhang (ca. 30 % des Gesamtumfangs), der sich ausschließlich mit unterschiedlichen Szenarien beschäftigt und Hinweise gibt, wie man diese in Lovecraftesque umsetzen kann.

Hierbei haben sich die Macher wirklich viel Mühe gegeben. Es beschlich mich beim Durchlesen der Szenarien tatsächlich ein Horrorgefühl, wie es gewöhnlich nur Lovecraft und seine literarischen Nachfolger erzeugen. Besonders gelungen fand ich die Idee der Nachbarschaft, bei der sich verschiedene Realitäten überschneiden und auf einmal seltsame Häuser die üblichen ersetzen, ohne dass es irgendjemandem auffällt, der dort wohnt.

Optisch ist das Regelwerk von Lovecraftesque sehr schön aufgemacht und durchgehend farbig illustriert. Alles sehr ansprechend und von der Stimmung passend.

Vorzüge und Nachteile des Storytelling-Spiels

Lovecraftesque ist ein sehr schönes, atmosphärisches Spiel und wahrscheinlich von allen Rollenspielen dasjenige, das Lovecrafts ursprünglichen Ideen am nächsten kommt. Es ist sehr kreativ in der Umsetzung lovecraftscher Ideen in einem Regelwerk und bietet eine ganz andere Spielerfahrung als Rollenspiele wie Call of Cthulhu oder FHTAGN. Besonders eignet es sich für alle Spieler, denen es mehr um Atmosphäre als um Action geht.

Genau hier liegen dann aber auch die Schwachpunkte: Das Fehlen von Action mag viele Rollenspieler abschrecken. Auch der rigide Ablauf des Spiels mit festgelegten Reihenfolgen, wann wer spricht und wer auf was reagieren kann, ist doch eher gewöhnungsbedürftig.

Ebenso ist das Spiel sehr auf den/die Witness fixiert. Diese Rolle und der Narrator dominieren das Spiel, während die Watcher der entstehenden Geschichte nur zuarbeiten. Die Rolle der Watcher ist für viele Rollenspieler, die konventionellere Spiele kennen, wahrscheinlich zu passiv.

Die letzte Hürde ist dann noch die Sprache: Das Englisch, in dem Lovecraftesque verfasst wurde, ist komplex. Wer nur bis zum Realschulabschluss Englisch hatte, wird sich mit den Regeln eher schwer tun.

Allerdings ist eine deutsche Version von Lovecraftesque in Arbeit, was diese Hürde dann negieren wird.

Lovecraftesque: ein Fazit

Lovecraftesque ist ein interessantes System, das der Umsetzung einer Geschichte im Geiste von H.P. Lovecraft als Storytelling-Spiel sehr gut gerecht wird. Dabei helfen einige sehr durchdachte Regelbesonderheiten. Die Regeln und Hintergrundinformationen zu Wahnsinn sind besonders gut gelungen. Auch die von den Machern erdachten Szenarien sind entsprechend atmosphärisch und gut vorbereitet.

Allerdings fokussiert das System das Spiel zu sehr auf zwei Rollen, Narrator und Witness. Alle anderen Mitspieler haben eher passive Rollen, was nicht jedem schmecken wird. Auch der rigide, quasi rundenbasierte Spielablauf ist wahrscheinlich für viele Rollenspieler gewöhnungsbedürftig, ebenso das Fehlen typischer Kämpfe und Actionelemente.

Das Spiel Lovecraftesque von Josh Fox und Becky Annison kann bei Black Armada oder bei DriveThruRPG bestellt werden. Als PDF kostet der Band mit 180 Seiten 10 ₤, in den Varianten als Softcover bzw. Hardcover ist er für 16 ₤ bzw. 26 ₤ erhältlich.

Lovecraftesque

7.4

Atmosphäre

9.0/10

Innovative Regeln

9.5/10

Action

3.0/10

Design

8.0/10

Spielspaß

6.5/10

Preis/Leistung

8.5/10

Pros

  • Atmosphärisches Spiel
  • Sehr nah an Lovecrafts Ideen
  • Interessante Spielmechanismen
  • Hervorragende Szenariovorschläge

Cons

  • Starrer Spielverlauf (quasi rundenbasiert)
  • Fokus auf zwei Teilnehmern
  • Wenig Action
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3 Kommentare
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nacchi

Das Spiel wird sogar grade ins Deutsche übersetzt und dieses Jahr soll dazu auch noch ein Crowdfunding starten, ganz passend zu Halloween. Auf lovecraftesque.de findet man alle relevanten Informationen und kann sich auch Neuigkeiten per Newsletter zusenden lassen!

nacchi

Und man kann sogar im Moment noch mit eigenen Ideen dabei sein: https://twitter.com/trotzflocke/status/1172595471900188672

Luke Finewalker

Großartig, vielen Dank für den Hinweis! 🙂

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