New Hong Kong Story – Rezension
Vorwort
Licht, Kamera, Action! Wir kommen zum zweiten Teil unseres Berichts über New Hong Kong Story vom Black Mask Verlag und dieses Mal geht es an die Rezension. Gleichzeitig ist dies aber auch unsere erste Rezension auf PnPnews.de, weshalb dies ein kleines Debüt ist. Wir werden nach unserer Vorstellung im ersten Teil dabei so gut wie möglich auf die Feinheiten des Pen-And-Paper-Rollenspiels eingehen und die Besonderheiten dieses Systems hervorheben, damit ihr einen genauen Eindruck davon bekommt, was euch am Set von New Hong Kong Story erwartet!
Die Aufmachung
Das Regelwerk ist optisch schlicht gestaltet und größtenteils in schwarzweiß gehalten. Die Texte sind gut verständlich geschrieben und haben ihr Augenmerk klar auf der Verständlichkeit. Leider merkt man beim Layout des Textes, dass kein Profi am Werk war. Der verwendete Blocksatz weist immer wieder große Lücken auf, worüber man beim Lesen stolpern kann. Darüber kann man bei der spürbaren Leidenschaft der Autoren hinwegsehen, ein Manko stellt es dennoch dar.
Damit all das nicht zum Problem wird, helfen zum Glück die klaren Überschriften. Ein zusätzliches Hilfsmittel sind die Post-It Notizen, welche im Buch immer wieder auftauchen. Sie heben die nützlichen Listen heraus, mit denen Besonderheiten des Regelsystems noch einmal übersichtlich zusammengefasst werden, ohne aufdringlich zu wirken.
Der Aufbau des Buchs ist allerdings dennoch etwas holprig, da er thematisch hin- und herspringt. Mal ist er bei charakterrelevanten Teilen, dann springt er zu Box Office und Awards (die erst später wirklich relevant werden), dann geht es wieder zurück zu Vorteilen und Martial-Arts-Stilen. Das hätte man besser zusammen in einem Kapitel rund um die Charaktererstellung gepackt. Die klare Sprache und das im Allgemeinen aufgeräumte Erscheinungsbild schaffen es dennoch, dass der Text ausreichend übersichtlich bleibt.
Die zahlreichen Schwarzweiß-Bilder wirken zum Teil, als würden sie aus richtigen Filmen stammen. Sie sind stimmig an den Seitenrändern angebracht und bieten somit eine angenehme Abwechslung für das Auge. Die Illustrationen wirken niemals störend und lenken nicht vom Inhalt ab. Der Fokus lag hier klar beim Vermitteln der Stimmung und nicht bei detaillierten Szenerien aus denen man direkt eine ganze Geschichte zimmern könnte. Das ist beim Budget des Spiels allerdings auch nachvollziehbar.
Die wenigen farbigen Bilder entfalten ihre Wirkung darum umso besser und bleiben einem gut im Gedächtnis. Die eher schmucklosen Illustrationen passen jedoch gut zum Rest der Optik. Dabei merkt man auch, dass das Spiel weiß, was sein Fokus ist: zügige Regeln und schnelle Geschichten im Martial-Arts-Filmsetting. Die vorhandenen Möglichkeiten wurden insgesamt gut genutzt und die Umsetzung entspricht den Erwartungen an ein Indie-Rollenspiel.
Der Inhalt
Das (Film)Setting
Statt der üblichen Spielleiter-Spieler-Verhältnisse werdet ihr kurzerhand zu Regisseur und Schauspielern an einem chinesischen Filmset! Natürlich mit allem was dazugehört: Hitzige Martial-Arts-Kämpfe, halsbrecherische Stunts, Drehpausen, Drehbuchveränderungen, Haupt- und Nebenrollen, Outtakes und Awards – die ganze Palette ist Gegenstand der ausgeklügelten Art, wie dieses Rollenspiel an unser liebstes Hobby herangeht. Dazu gehören selbstverständlich auch Filmpreise, Special Effects und so manche Überraschung. Wer das Rollenspiel Hong Kong Action Theatre kennt und sich daran erinnert fühlt: Der User Crime im Tanelorn-Forum gab an, dass man ursprünglich die Lizenz für das Spiel von White Wolf erwerben wollte, doch kam der Deal am Ende nicht zustande, sodass man kurzerhand ein eigenes Spiel mit dem gleichen Konzept entwickelte. Dabei hat man jedoch darauf geachtet, nicht einfach nur einen Klon zu erschaffen, sondern das System weiter zu entwickeln.
Das Filmsetting an sich mag nicht innovativ sein, die Umsetzung verdient jedoch Anerkennung für ihre narrativen Freiheiten und ihren reglementarischen Fokus auf selbiger, der kreativ Setting und Regeln in sich vereint.
Mit dieser Herangehensweise schafft es New Hong Kong Story, historisches und modernes, mundanes und phantastisches in sich zu vereinen. Die Filmleinwand erlaubt Szenarien zur Zeit der drei Reiche, sowie Wuxia-Phantastik wie in House of Flying Daggers. Moderne Streifen wie Hardboiled von John Woo oder Paarungen mit Mystik wie in Bulletproof Monk sind ebenfalls möglich, ohne dass es die Glaubwürdigkeit des Settings in Frage stellt. Desweiteren erlaubt es semi-ernste und humoristische Filme, wie etwa Kung Fu Hustle oder Drunken Master, ohne sich lächerlich anzufühlen. Wenn es fantastischer wird und ihr euch in einem der in Fernost beliebten Wuxia-Filme wiederfindet, bei denen ihr in Baumwipfeln kämpft und riesige Sprünge durchführt oder vielleicht im modernen Peking auf die Mumie eines vergessenen Kaisers stoßt, die euch an den Kragen will, dann seid ihr mitten in New Hong Kong Story!
Schön ist auch, dass ihr natürlich nicht auf Fernost beschränkt seid. Selbstverständlich erlaubt das Setting auch die Erweiterung auf andere Filmsets und mögliche Filmsorten, um euch weitere Freiheiten zu ermöglichen. Zudem gibt es noch ein paar Regeln und Hinweise rund um Blockbuster, TV-Serien, B-Streifen und mehr, weshalb New Hong Kong Story das volle Potenzial seiner schöpferischen Möglichkeiten zu nutzen weiß, ohne den Spielern unnötige Steine in den Weg zu legen.
Wer dennoch in China und Hong Kong bleiben möchte, der findet ganz passend im hinteren Bereich des Regelwerkes eine detaillierte Beschreibung von Hong Kong und dessen Stadtvierteln. Dort gibt es auch kurze Abrisse rund um das Klima, die Geschichte, vorherrschenden Religionen und mehr, sowie zu anderen Regionen, wie etwa Macau. Gepaart wird das Ganze dann noch mit weiteren Informationen rund um China und anderen Themen, wie etwa den Triaden, sowie farbigen Karten für einzelne Regionen und Beschreibungen von fernöstlichen Filmen, die die Leidenschaft des Autors bestens festhalten. Ebenfalls könnt ihr die Kurzbeschreibungen der Filme nutzen, um Inspiration für euren eigenen Film zu finden! Weitere Details findet man aber auch im gesamten Buch. Überall sind kleine Beschreibungen rund um filmographische Besonderheiten oder gar chinesische Namen für antike Bewaffnung und Kampfstilbeschreibungen, die das Bild stilsicher abrunden.
Regeln
Die Regeln sind insgesamt kurz und auf den Punkt gebracht. Selten sind sie länger als ein kurzer Abschnitt. Dies geht mit dem narrativen Fokus des Systems d’accord und passt sehr gut zum Fokus auf Action- und Kung Fu-Filmen an einem fernöstlichen Set. Allerdings sind dadurch narrative Besonderheiten zu beachten, die New Hong Kong Story von anderen Pen-And-Paper-Rollenspielen abheben. Die enorme narrative Macht ist wohl die größte Stärke des Systems, die die Schauspieler und der Regisseur in den Händen halten. Bedingt wird dies durch die enge Verdrahtung von Setting und Regeln, welche eine Menge an erzählerischer Freiheit erlaubt.
Positiv ist dabei, dass das Werk sich seiner Begrenztheit bewusst ist und dafür sogar extra Absätze bietet, die sich rein darum drehen, wie man als Regisseur diese Grenzen überwinden und das Spiel erweitern kann, umso ganz flexibel neue spielerische Möglichkeiten zu eröffnen. Von neuen Martial-Arts-Stilen über Ausrüstung und Fertigkeiten ist alles dabei, was die Spieler nach Herzenslust anpassen können.
Die konzentrierten Regeln erlauben es auch Einsteigern und besonders regelfaulen Spielern, leicht Zugang zum Spiel zu erlangen und mitzumachen. Die Schauspieler sind leicht erstellt und die Regeln zum Umgang mit Proben und Kämpfen sind ebenfalls komprimiert und simpel, sodass auch der Kampf mit Gegenständen und Waffen, sowie das Rammen mit Fahrzeugen nahtlos von der Hand geht, ohne großes Umdenken oder Geschwindigkeitsberechnungen zu verlangen. Dies ermöglicht gerade Neulingen, die erfahrungsgemäß etwas zurückhaltender oder weniger waghalsiger als erfahrene Spieler agieren, schnell und einfach Erfolgserlebnisse oder zumindest grandiose Pannen erleben zu können. Ebenfalls lässt es ein hohes Tempo in Kämpfen zu. Wer jedoch eher genaue Regeln für eine Vielzahl von möglichen Situationen haben möchte, muss diese selbst erfinden oder wird das Nachsehen haben, da nicht einmal Bewegungsreichweiten genau definiert sind und so der Phantasie und dem Ermessen des Regisseurs überlassen werden, da sie allenfalls grob beschrieben werden.
Starruhm-Punkte
Passend zu den simplifizierten Regeln gibt es im Grunde nur einen Punktwert, der für die Schauspieler relevant ist: Die Starruhm-Punkte. Diese Punkte sind eine Universalwährung, die für alle Wertsteigerungen der Schauspieler benötigt werden und mit denen sich auch andere Punkte kaufen lassen, wie etwa Fertigkeitspunkte. Die Spieler erhalten die Starruhm-Punkte für abgeschlossene Filme, erfolgreiche Stunts und andere herausragende Leistungen, wie etwa Awards. Auch können sie genutzt werden, um Drehbuchänderungen zu ermöglichen.
Drehbuchänderungen
Drehbuchänderungen sind ein narratives Werkzeug der Schauspieler, welches in Absprache mit dem Regisseur eingesetzt werden kann. Sie verleihen Spielern die begrenzte Möglichkeit, eine Situation zu ihren Gunsten zu verändern. Damit können sie etwa Waffen an einem Punkt finden, wenn sie in einer prekären Situation stecken oder ganze Häuser versetzen, wenn es ihnen auf der Flucht hilft. Grundsätzlich gilt dabei: Je stärker die Änderung, desto teurer wird es. Dennoch sind auch diese Änderungen begrenzt einsetzbar. Sie können unter anderem keine Gegner aus dem Spiel nehmen, sondern diese lediglich behindern, was dem Regisseur somit auch nicht sämtliche Macht nimmt, zumal dieser jeder Änderung zustimmen muss.
Rollen und Casting
Rollen sind wohl das herausstechendste Beispiel für die narrativen Besonderheiten von New Hong Kong Story. Jeder Schauspieler hat seine eigenen Charakterwerte, die aber von der von ihm übernommenen Rolle modifiziert und zum Teil auch für die Dauer des Films überschrieben werden. Das mag zunächst negativ klingen, ist aber in erster Linie positiv für den Schauspieler, da bestehende Fertigkeiten eine temporäre Steigerung erhalten und benötigte, aber nicht erlernte Fertigkeiten zumindest auf einem nutzbaren Level verfügbar gemacht werden. Negative Auswirkungen (etwa in Form von Nachteilen) sind eher unüblich, was auch einen Rollenwechsel wenig schmerzhaft gestaltet. Während Schauspieler vor der Rolle kleine Änderungen und Anpassungen durchführen dürfen, haben sie im Spiel selbst dann mit den Umständen zu leben, die bis zum Drehschluss oder Filmtod bestehen bleiben. Die Spieler können zum Beispiel eine weibliche oder männliche Rolle übernehmen, die dann geschlechtlich für den Schauspieler oder der Schauspielerin umgeschrieben wird oder gar kleine Marotten und Details in Absprache mit dem Regisseur durchführen, die ihnen dann veilleicht noch geringe Vor- oder Nachteile verpassen.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass es Haupt- und Nebenrollen gibt. Hauptrollen haben grundsätzlich bessere Werte als Nebenrollen, müssen dabei aber auch den Hauptanteil an Gegnern und Gefahren überwinden. Was an sich schlüssig ist, könnte aber auch dafür sorgen, dass die Nebenrollen sich am Ende fühlen, als würden sie auf der Ersatzbank sitzen, weil sie „nur“ eine Nebenrolle spielen. Grundsätzlich haben sie aber die gleichen Freiheiten wie die Hauptrollen, auch wenn sie vielleicht weniger Kamerazeit bekommen. Hier ist ein gutes Vorgehen des Regisseurs notwendig, damit jeder Schauspieler glänzen kann.
Um eine Rolle zu wählen, müssen die Schauspieler zunächst ein Casting durchlaufen, welches im Grunde nichts anderes als ein „Wer zuerst kommt, malt zuerst“ ist. Die Schauspieler mit der höchsten Anzahl an Starruhmpunkten (und Würfelglück) wählt zuerst, der Rest dann in absteigender Folge aus den verbliebenen Rollen. Die Rollen wiederum erschafft der Regisseur, sofern sie nicht von dem Film vorgegeben werden.
Stunts
Stunts sind besonders riskante Aktionen, die den Spielern Starruhm-Punkte verleihen, wenn diese die Stunts erfolgreich abschließen. Je riskanter der Stunt, desto mehr Punkte gibt es. Grundsätzlich können die Schauspieler selbst einen Stunt einbauen, wenn sie dies für angebracht halten, wobei der Regisseur dem natürlich zustimmen muss. Dabei ist aber nicht alles gleich ein Stunt, weshalb man sich hier gut absprechen sollte. Die Spieler und der Regisseur können den Schwierigkeitsgrad nicht nur durch äußere Umstände bestimmen, sondern auch noch etwas ankurbeln und noch gefährlicher gestalten.
Patzer und Kritische Erfolge
Patzer und Kritische Erfolge gibt es auch in New Hong Kong Story. Wer sich aber nun fragt, wie Stunts in Actionfilmen und Patzer zusammenpassen, dem sei gesagt: Gut.
Nicht nur, dass Patzer mit Take-2-Punkten wiederholt werden dürfen, auch die Narrative greift hier wunderbar, um Fehlschläge zu erklären, ohne dass der Film sein jähes Ende findet, nur weil der Held bei seinem Fallschirmsprung falsch gelandet ist. So kann ein Stunt etwa schlicht nicht spektakulär sein oder aber die Technik schwächelt, weil vielleicht ein Toupet vom Stuntdouble verrutscht ist. Möglicherweise fällt auch die Kamera kurzzeitig aus – kurzum, die starke narrative Macht des Spiels kann helfen, das Spiel am Laufen zu halten und auch Fehlschläge erträglich komisch zu machen, was gerade für Anfänger sicherlich angenehm ist. Und im Zweifel ist es auch denkbar, dass beim Sprung auf einen Laster der Schauspieler abrutscht und sich in Folge mit einem Manöver retten muss, um nicht auf die Straße zu fallen. Dies hält den Film am Laufen, auch wenn der Schauspieler dafür keine Punkte bekommt oder gar die Szene am Ende ganz rausgeschnitten wird. Hier gibt es keine Begrenzung der Fantasie und auch kreative Lösungen kann der Regisseurbelohnen.
Der Filmtod
Der Filmtod stellt ebenfalls eine Besonderheit des Systems dar. Wenn Trefferpunkte üblicherweise auf null sinken, stirbt der Charakter je nach System mal schneller und mal langsamer. Am Set von New Hong Kong Story bedeutet dies aber nur den Rollen- und nicht den Schauspielertod, weshalb euer Schauspieler also erhalten bleibt. Er bekommt eine Sterbeszene, die, je nachdem wieviele Chi-Punkte er hat, besonders glorreich sein kann, da er sich mit diesen Chi-Punkten Extra-Aktionen kaufen kann. Cinematisch wäre dies wohl ein letzter Kampf wie bei Scarface, wo Tony noch einmal trotz aller Treffer weiter feuert – der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, um den Filmtod besonders episch zu gestalten. Und je mehr Chi-Punkte er einsetzt, desto mehr Aktionen darf er sich dazu kaufen.
Danach scheidet der Schauspieler allerdings aus dem Film aus – was ihn möglicherweise darauf warten lässt, dass der Rest der Runde den Film beendet oder aber er mit einer neuen Rolle wieder ins Geschehen einsteigt.
Awards
Ist ein Film beendet, gibt es natürlich auch Awards. Diese werden nach dem Drehschluss vergeben und nach Ermessen des Regisseurs für verschiedene Kategorien (die er sich natürlich selbst aussucht/ausdenkt) verteilt, wie etwa beste Stunts, beste Kampfchoreographie und ähnlichem. Diese Awards geben den Schauspielern nicht nur einen Eintrag auf ihrem Charakterbogen sondern auch zusätzliche Starruhm-Punkte, vielleicht neue Vorteile und mehr, um die Schauspieler für ihren Einsatz zu belohnen.
Die Charaktererschaffung
Der Hintergrund der Schauspieler
Die Charaktererschaffung ist im Vergleich zu anderen Systemen nicht sehr viel anders, was es leicht macht, sich darin zurecht zu finden. Zunächst beginnen wir mit den üblichen Dingen, wie Namen, Größe und Gewicht, sowie die Herkunft unseres Alter Egos, welche eine gewisse Besonderheit für uns parat hält. Sehr schön hierbei ist, dass das Grundregelwerk mit praktischen Beispielen bei der Erstellung hilft, auch wenn der Schauspieler eine Rolle übernimmt und seine Werte somit modifiziert.
New Hong Kong Story ist hier recht konsequent mit der Darstellung eines fernöstlichen Filmsets und den dazugehörigen Umständen. Die Wahl bei diesen Filmen sind im Regelfall natürlich asiatische Schauspieler und Schauspielerinnen. Das Regelwerk bietet dafür extra eine ganze Palette an chinesischen, japanischen, thailändischen, koreanischen und vietnamesischen Namen an, sowie die Hong Konger Vornamen, die aufgrund ihrer Historie zu Großbritannien englisch ausfallen, was die Wahl für euch erheblich vereinfacht. Wer sich allerdings für einen westlichen Schauspieler entscheidet, der muss einige Konsequenzen in Kauf nehmen – so wird er mit großer Wahrscheinlichkeit einen besonderen Kampfstil und einen Nachteil beim Wählen von Hauptrollen erhalten, um seine Exotik im – für uns in Europa Lebenden – fernen Asien darzustellen.
Danach geht es zu den eigentlichen Werten. Die Schauspieler bekommen Starruhm- und Fertigkeitspunkte, mit denen sie ihre Charaktere erschaffen können. Starruhm-Punkte sind, wie oben genannt, eine Universalwährung, die fast alle Aspekte des Schauspielers steigern können. Auch geben sie dem Schauspieler einen Vorteil beim Casting. So können wir mit den Starruhm-Punkten Martial-Arts-Stile (die jeder Schauspieler in jedem Falle bekommt!) und Fertigkeitspunkte kaufen, Eigenschaften steigern und Vor- und Nachteile erwerben (letztere geben uns typischerweise extra Punkte zum Ausgeben).
Eigenschaften
Das Eigenschaftssystem ist nicht anders als das anderer Systeme und setzt auf sechs Attribute. Während Stärke, Geschicklichkeit und Ausdauer die körperliche Verfassung widerspiegeln und für körperliche Fertigkeiten wichtig sind, dienen Coolness für die Initiative, Wissen für akademische Leistungen und Chi für die Wahrnehmung und den eigenen Chi-Pool, den wir für allerhand Verbesserungen in Kampfsituationen, Martial-Arts-Techniken, Wuxia-Magie und Extra-Aktionen gebrauchen können.
Fertigkeiten
Fertigkeiten richten sich in ihren Basiskosten nach ihrer Wichtigkeit und nicht nach Schwierigkeit. So ist „Akrobatik“ für Saltos, Backflips, Spagate, etc. sehr nützlich, zumal es auch das Gleichgewicht bestimmt, während „Verbergen“ zum Verstecken eher günstiger ist. Denn wie oft verstecken sich Actionhelden in ihren Filmen schon? Auch Waffenfertigkeiten fallen unter diese Riege, die aber allesamt die gleichen Punktkosten haben, was somit verhindert, dass eine Waffensorte bevorzugt wird, egal ob ihr als Nahkämpfer, Fernkämpfer oder waffenlos in den Ring steigt. Bei der Ergreifung einer Rolle werden notwendige Fertigkeiten der Rolle gesteigert oder aber für dessen Dauer auf einem passablen Level zugänglich gemacht, sodass der Schauspieler seine Rolle auch verkörpern kann.
Vor- und Nachteile
Schauspieler können aus einer Reihe von Vor- und Nachteilen wählen, die rollenübergreifend aktiv sind und die von einfachen Dingen wie etwa Extra-Aktionen bis hin zu etwas kurioseren Dingen reichen. Das kann möglicherweise ein Produkt seines Sponsors sein, das der Schauspieler in geeigneten Filmen präsentieren muss, was für einiges an Erheiterung sorgen kann. Manche Rollen verlangen eigene Vor- und Nachteile, die dann entweder zusätzlich für den Schauspieler greifen oder aber diese Überschreiben, wenn es der Regisseur für nötig erachtet. Ebenfalls gibt es geringe Vor- und Nachteile, die kleine Besonderheiten haben. Ein geringer Vorteil kann vielleicht ein paar Chi-Punkte verleihen, wenn der Schauspieler ein Bild seiner Familie betrachtet. Ein geringer Nachteil ist hingegen meist nur eine Marotte, wie etwa Kettenrauchen, was keinen Einfluss auf den Schauspieler nimmt.
Martial Arts
Wer auf die Martial Arts heiß ist, der wird sich freuen: Ganze neun Kung Fu-Stile warten auf euch, sowie der für westliche Kämpfer gedachte Stil „Gwai Lo“, der dem asiatischen Publikum eine gewisse Exotik vorspielen soll. Die Stile werden einmal in ihrer Basis-Funktion erworben und danach von Stufe eins bis Stufe fünf gesteigert. Jede Stufe bietet dabei neben einem passiven Bonus, wie etwa Steigerungen für den Kampf mit Schwertern, zusätzliche Techniken mit ihrer Stufe, die die Kampfkünste zunehmend stärker und effektvoller gestalten. Die höchsten Stufen bieten zum Teil auch Spezialtechniken, die besonders eindrucksvoll zuschlagen und aussehen. Etwas schade ist die Abwesenheit von weiteren Kampfstilen außerhalb von Kung-Fu, doch kann man auch diese relativ leicht selbst einbauen, wenn man etwa Jiu Jitsu oder Karate nutzen möchte.
Ausrüstung und Waffen
Da Ausrüstung am Set nur Requisiten sind, müsst ihr nichts beim Start kaufen, sondern bekommt alles wichtige gestellt, was eure Rolle braucht.
Das Regelwerk erspart sich unnötiges Micromanagement von Ausrüstung und Waffen. Letztere werden in Nah-, Fern- und improvisierte Waffen, sowie moderne und antike aufgeteilt. So findet man neben historischen Waffen, wie Schwertern und Armbrüsten auch Schusswaffen aus dem zweiten Weltkrieg und moderne Waffen wie Baseballschläger und Sturmgewehre. Während Nahkampfwaffen noch stärker voneinander unterschieden werden, werden Fernkampfwaffen und improvisierte Waffen in Kategorien aufgeteilt. Moderne Pistolen haben zum Beispiel allesamt die selben Werte, genau wie leichte improvisierte Waffen alle in die gleiche Schadenskategorie fallen. Zusätzlich besitzen Waffen noch Eigenschaften, wie etwa Zweihändigkeit. Hierbei kann der Regisseur auch einfach einige Modifikationen durchführen, da diese nur sehr wenige Werte haben. Gerade die Einteilung von improvisierten Waffen erlauben eine schnelle Integration von Umgebungsgegenständen wie Flaschen, Tellern und Stühlen im Kampf, ohne diesen groß aufzuhalten.
Magie am Set
Fantasy-Filme – in Fernost als Wuxia bekannt – nutzen eine Form daoistischer Magie. Grundsätzlich haben Charaktere in diesen Filmen für gewöhnlich übernatürliche Fähigkeiten, wie etwa enorme Sprünge, Wandläufe und manchmal auch Klingen, die Kugeln abwehren können. Für diese Filme gelten in New Hong Kong Story besondere Regeln. Nicht nur, dass Stunts wegfallen, auch treffen die Schauspieler auf übernatürliche Wesen (was natürlich auch nur Statisten sind) und können Magie einsetzen. Diese Magie wird mittels Chi-Punkten eingesetzt, was somit auch das bestehende System ausbaut und nicht um weitere Werte erweitert. Diese Magie verstärkt und ermöglicht Attacken oder helfen dem Charakter, sich schneller, weiter und eleganter zu bewegen. Auch können größere Gegenstände problemlos als improvisierte Waffe eingesetzt werden.
So viel bekommt ihr für euer Geld
New Hong Kong Story hat ein überraschend gutes Preis-/Leistungsverhältnis. Das Grundregelwerk kommt mit 25€ für ein Softcover-Buch mit rund 260 Seiten sehr gut weg. Es bietet zwar kein vorgefertigtes Abenteuer, liefert aber dafür mehr als genug Hintergrundinformationen, um einen Film mit Freunden im Modernen Hong Kong zu erleben und bietet auch dank seiner historischen und realen Vorlage die Möglichkeit, ohne viel Arbeit eigene Filme zu drehen. Wem das nicht reicht, der kann natürlich auch das Filmset an einen anderen Ort auf der Welt verlegen. Das wäre dann vielleicht ein New London Story, was kein Problem darstellt. Die Möglichkeit, Wuxia-Filme zu drehen und somit auch Fantasy in Fernost darzustellen, erweitert die Palette an möglichen Abenteuern enorm. Ebenfalls erlaubt das ausbleibende Micromanagement flexible Erweiterungen durch eigens kreierte Waffen und Ausrüstungsgegenstände, so sie denn nötig werden. Auch setzt das Regelwerk nicht noch weitere Quellenbände voraus, um ein tiefgreifendes Rollenspiel oder gar eine fiktive Kultur erst so richtig korrekt darzustellen. Das macht es auch für Spieler mit kleinerem Geldbeutel sehr attraktiv.
Fazit
Kommen wir also zum Abschluss unserer Betrachtung. Ohne zu viel zu verraten: Ich bin inzwischen stolzer Besitzer des Grundregelwerks und traue mir auch zu, als Regisseur aufzutreten, was ich sonst eher gemieden habe wie die Pest. Das System macht mir auch Mut, es meinen Freunden, die sich sonst mit Pen and Paper Rollenspielen und den vielen Regeln nicht auseinander setzen wollten, nahe zu bringen.
Besonders gut gefällt mir die Abwesenheit von unnötigem Micromanagement und komplexen Regeln, die man sonst bei vielen kampforientierten Spielen findet. Sicher, die müssen nicht schlecht sein, aber die meisten von uns wissen, wie angenehm es sein kann, wenn man sich um die Story und nicht um Regeln kümmern muss. Ebenfalls angetan bin ich von den narrativen Mächten, die den Schauspielern in Form der Stunts und Drehbuchänderungen in die Hand gegeben werden. Das sorgt für interessante Möglichkeiten, verlangt aber auch etwas Diplomatie. Doch wie heißt’s so schön? „Wenn’s Spaß macht, dann ist es richtig!“
Was mir nicht gefällt, ist recht schnell erklärt: Das Rollensystem. Nicht, weil es unpassend wäre, sondern weil ich befürchte, dass sich eine Zweiklassengesellschaft am Tisch bildet, bei dem ein Teil der Spielerschaft in Gefahr läuft, zu kurz zu kommen und zu wenig Möglichkeiten zu Glänzen. Aber ich bin mir sicher, dass mit gutem Fokus auch diese Spieler den Ruhm bekommen, den sie verdienen.
Mein Urteil fällt somit sehr positiv aus – New Hong Kong Story nutzt sein Potenzial und spielt gekonnt die eigenen Stärken – nämliche einfache Regeln und starke narrative Mächte – voll aus. Während Spieler mit großem Regelbedarf wohl weniger ihre Freude haben werden, kommen Einsteiger von Pen and Paper Rollenspielen und Spieler mit mehr Fokus auf Erzählung als auf Regeln hier voll auf ihre Kosten und bekommen ein einfaches und leicht erweiterbares System.
Hinweis im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Das Regelwerk New Hong Kong Story wurde uns vom Black Mask Verlag – Christian Blaßmann freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
New Hong Kong Story
25€Pros
- Gut durchdachtes Zusammenspiel von Regeln und Setting
- Gute narrative Möglichkeiten erlauben eine Vielzahl an ungewöhnlichen Erlebnissen
- Drehbuchänderungen können von Spielern durchgeführt werden
- Leicht zu erlernende Regeln und hohe Einsteigerfreundlichkeit
- Kein Micromanagement für Ausrüstung erlaubt für schnelles Gameplay
- Viel Hilfestellung für eigene Anpassungen und Inspirationen für eigene Filme
Cons
- Struktur des Grundregelwerkes sprunghaft
- Layoutfehler können das Lesen unnötig erschweren
- Die Illustrationen sind leider bestenfalls zweckmäßig. Wer die Filme des Genres nicht gut kennt, muss sich das Bildmaterial selbst auftreiben
- Rollenaufteilung kann zu Benachteiligung von Spielern führen
Das ist übrigens unsere erste eigene Rezension. Großes Lob an Chaos, der da wirklich sehr viel Zeit reingesteckt hat!
Ihr könnt oben links, so ihr wollt und New Hong Kong Story kennt, gerne auch eure Wertung zu diesem Grundregelwerk da lassen.
Wir freuen uns vor allem auch über Feedback zur Rezension selbst, denn nur durch dieses können wir Dinge möglicherweise verbessern!
Hallo, Co-Autor hier. Ich mag Rezensionen, bei denen ersichtlich ist, dass der Autor sich wirklich mit dem Material beschäftigt hat (also so wie diese hier) 😉 Übrigens, was die Haupt- und Nebenrollen angeht: bei vielen Gruppen sind tatsächlich die Nebenrollen begehrter, weil jeder den Sidekick spielen will.
Das klingt auf jeden Fall beruhigend! Ich hatte leider noch keine Gelegenheit, das intensiv auszutesten, daher habe ich immer befürchtet, dass diese eben „Nur“ Nebenrollen spielen müssen und im Hintergrund versauern. Aber keine Sorge, der Test wird nachgeholt!
Da ich es schon viele Male geleitet habe, kann ich das nur bekräftigen. Nebenrollen bekommen genau so viel Screentime wie die Hauptrollen. Da die Rollen zudem oft auch sehr oft (fast immer) den Schwerpunkt ihrer Fähigkeiten verschieden gelegt haben und man darüber als Regisseur (SL) vorher genau Bescheid weiß, ist es ein leichtes alle Glätzen zu lassen.
Benachteiligt gefühlt hat sich bei mir am Tisch (bei mehreren Gruppen) noch niemand. Es hätte vielleicht gestört, wenn man sowas in regelintensiven Spielen, wie z.B. Pathfinder, eingebaut hätte. Aber hier mit dem narrativen Ansatz, überhaupt nicht. Die Nebenrollen sind bisher immer sehr beliebt gewesen. Grad schüchterne Spieler freuen sich Anfangs sehr, wenn sie keine Hauptrolle wählen müssen, nur um später festzustellen, dass sie sich hätten ruhig trauen können.
Ich finde die Rezension soweit ganz gut, bis eben den spekulativen Teil im Fazit. Zudem Du als Autor ja auch noch nahelegst, das die Erfahrung als SL fehlt und auch kein Spieltest stattgefunden hat. Klar, persönliche Meinung, aber mir wie gesagt zu spekulativ ohne fundierte Gründe. Da würde ich mir zukünftig wünschen, das etwas vorsichtiger fomuliert wird. Ich kann mir vorstellen, das manche nur das Fazit lesen und ein falsches Bild bekommen. Wäre es nicht im Fazit, hätte ich es hier vermutlich nichtmal erwähnt.
Ansonsten würde ich hier gerne noch erwähnen, das meiner Meinung nach Patzer und Kritische Erfolge ein wichtiger Bestandteil des Spiels sind (wie schon in der Rezension erkannt) und viel zum Spaß beitragen. Weswegen die Wahrscheinlichkeit auch erhöht ist (1+2 und 19+20 auf dem W20).
Ich gratuliere zur ersten (guten) Rezension, bitte mehr davon. 🙂
Hi Hartmut!
Deine Kritik ist absolut berechtigt und ich werde sie mir auf jeden Fall zu Herzen nehmen! Da werde ich in Zukunft drauf achten.