Interview mit Stefan Droste von System Matters
Der System Matters Verlag aus Gelsenkirchen ist zwar vergleichsweise klein, allerdings auch schon lange kein Neuzugang der deutschsprachigen Rollenspielszene mehr. In der jüngsten Folge des hauseigenen Podcasts konnten wir erfahren, dass der System-Matters-Podcast vor Kurzem sein zehnjähriges Jubiläum feiern konnte – herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle! Die Verlagsgründung erfolgte dann Ende 2015, das erste Projekt war das Crowdfunding zu Beyond the Wall im Sommer 2016.
Seither hat System Matters viele weitere Produkte auf den deutschen Rollenspielmarkt gebracht, darunter Dungeon World, Der Schatten des Dämonenfürsten oder den Ratgeber Abenteuer gestalten. Derzeit steht das Spiel So tief die schwere See kurz vor seinem Erscheinen. Entsprechend findet das System auch Beachtung im Podcast. PnPnews hat das zum Anlass genommen und ein Interview mit dessen Chefredakteur Stefan Droste geführt.
Stefan Droste im Interview
Hallo Stefan, vielen Dank, dass du dich zu einem Interview mit PnPnews bereit erklärt hast. Stell dich doch mal bitte kurz vor und erzähl uns, wer du bist und was du bei System Matters so machst.
Hallöchen! Und danke für die Gelegenheit, ein bisschen über die Schwere See erzählen zu können! Ich bin seit 2012 als Autor, Redakteur und Übersetzer in der Rollenspielszene unterwegs, zum Beispiel als einer der Köpfe hinter dem damaligen Magazin „Cthulhus Ruf“. Bei System Matters habe ich bisher vor allem Dungeon World betreut und bin daher auch Redakteur für andere PbtA-Spiele, wie eben So tief die schwere See.
Momentan dreht sich bei System Matters ja viel um So tief die schwere See, zu dem derzeit eure Vorbestellaktion läuft – kannst du uns in aller Kürze erklären, was das für ein Spiel ist?
Es ist ein maritimes Low-Fantasy-Rollenspiel mit hohen Erzählanteil. Man spielt Seeleute – wichtige Crewmitglieder desselben Schiffes – die sich in einer mystischen Inselwelt (angelehnt an die Hebriden des 19. Jahrhunderts) in menschliche Schicksale verstricken und schwere Entscheidungen treffen müssen. Mehr noch als in anderen Spielen sind die Charaktere hier mit der Hintergrundwelt vernetzt und haben starke eigene Motive, die sie zwingen, in ihren Konflikten Stellung zu beziehen. Und daraus entstehen dann natürlich dramatische Geschichten.
Es handelt sich dabei ja um eine Übersetzung des 2017 erschienenen Alas for the Awful Sea von Storybrewers Roleplaying. Wie seid ihr darauf aufmerksam geworden? Wer hatte die Idee, dieses Spiel dem Portfolio von System Matters hinzuzufügen?
Ich glaube, zum ersten Mal gesehen habe ich den Kickstarter des Spiels tatsächlich in Teylen‘s Crowdfunding-Übersicht (übrigens ein unschätzbarer Service). Und da ich eine erklärte Schwäche für historische Settings und alles Maritime habe, war ich sofort interessiert. Wir haben das dann etwas beobachtet und beschlossen, dass das ein gutes Produkt für uns wäre, sobald sich Dungeon World etabliert hat.
Ein Einblick in das Projekt von System Matters
Du hast das Projekt redaktionell betreut. Ganz grob über den Daumen gepeilt, wie viele Arbeitsstunden stecken insgesamt darin? Wie verteilen sie sich auf die verschiedenen Tätigkeiten?
Das ist eine gute Frage – aber leider unmöglich zu beantworten. Der einzige, der die Uhr hat mitlaufen lassen, war Patrick Wittstock, unser Layouter. Und selbst der hat nicht selten gnädig den Finger auf den Wecker gelegt. Ansonsten arbeiten wir alle eben, bis es fertig ist und wir zufrieden sind…
Ich kann ja zumindest mal grob die Arbeitsschritte seit 2017 auflisten, damit man eine Vorstellung davon bekommt, wie aufwändig so ein Rollenspielbuch ist:
- Lizenzvertrag abschließen,
- Text übersetzen (dazu zunächst ein Glossar aller Begriffe abklären),
- Lektorieren (mehrere Durchgänge),
- Redigieren (mehrere Durchgänge, Sprache & Regeln),
- Bebildern (Fotografien recherchieren und neues Coverbild malen),
- Layouten (zuvor Erstellen des Designs und der Formatvorlagen),
- Fahnenkorrektorat (insgesamt hat unsere Lektorin jetzt das Buch 6 oder 7 Mal komplett durchgearbeitet).
- Absprache mit der Druckerei, Werbung etc.
An all diesen Punkten sitzen jeweils ein oder mehrere Leute, die zum Teil sehr langwierige Aufgaben bewältigen müssen. Das beantwortet zwar eure Frage nicht, aber ich denke man bekommt eine ungefähre Ahnung davon, wie teuer so ein Buch sein müsste, wenn wir nach Stundenlohn arbeiten würden … Es geht selbst auf dieser Ebene noch nicht ohne Leidenschaft fürs Hobby, für welche ich das ganze Team nochmal besonders loben muss!
Wie eng war eure Zusammenarbeit mit den Originalautorinnen von Storybrewers Roleplaying, Hayley Gordon und Vee Hendro? Was sind das so für Leute?
Das sind natürlich sehr nette Leute, die sich ausnehmend klug und feinfühlig dem oft schwierigen Thema von Rollenspielen vor historischem Hintergrund widmen (zuletzt ja dem Jane-Austen-Spiel Good Society).
Vor Beginn des Projekts werden die Grundlagen natürlich besprochen und wir haben im Laufe der Zeit immer mal wieder Ansichtsproben geschickt, um sicherzugehen, dass den beiden unsere Version ihres Spiels gefällt.
Als mir bei den im Spiel erwähnten Waffen ein paar historische Ungenauigkeiten aufgefallen sind, konnte ich das auch direkt mit den Autorinnen besprechen und Änderungen vornehmen, die eventuell sogar in die nächste Auflage des englischen Originals übernommen werden. Das war schon ein Highlight in der Zusammenarbeit.
Die Übersetzung von So tief die schwere See
Lass uns mal über die Übersetzung von Schwere See sprechen. Auf einer Skala von 1 bis Moby Dick, wie schwierig würdest du dieses Spiel sprachlich einordnen?
Zarter Matjes-Hering! Es geht zwar um das 19. Jahrhundert, sodass einige ältere Begriffe vorkommen, aber sprachlich ist alles klar und nüchtern gehalten. Die Tiefe des Spiels entsteht nicht durch verschwurbelten Satzbau, sondern – hoffentlich – durch die gute Mechanik. 😉
Wer eure erste Podcastfolge zu dem Thema (siehe Link oben) gehört hat, hat mitbekommen, dass ihr an dem Titel ein bisschen geknabbert habt. Welche Herausforderungen hatte Schwere See in übersetzerischer Hinsicht noch zu bieten?
Oh weh, die See! Ja, der Titel war mit seinem lyrischen Klang für uns nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß zu übertragen. Ansonsten hat Tina [Trillitzsch] alle Klippen aber sehr gekonnt umschifft. Nur aus der Charakterklasse des „Striders“ haben wir nachträglich noch den „Wilderer“ gemacht, weil wir Aragorn ungern als blinden Passagier dabeihätten. Heikel sind natürlich auch immer Amtsbezeichnungen wie „Constable“ oder „Inspector“ – wir haben uns ganz wie in den alten Sherlock-Holmes-Übersetzungen für das deutsche „Wachtmeister“ und „Kommissar“ entschieden. In diesem Zuge haben wir auch gelernt, dass ein „Provost“ nicht etwa ein Probst, sondern ein Profoss ist. Hätten Sie’s gewusst?
Wie spielt sich So tief die schwere See?
Wie spielt sich Schwere See so? Für welche Art von Spielern ist das Spiel geeignet?
Man muss das Geschichtenerzählen mögen und auch Lust darauf haben, den Gefühlen und Bedürfnissen der Charaktere nachzugehen. Und ein Gespür für das Märchenhafte und Mythische kann helfen, um sich in dem Fantasyanteil des Spiels zurechtzufinden. Wenn man auf taktisch ausgeklügelte Kämpfe steht, ist man hier aber auf dem falschen Dampfer – Gewalt ist hier wirklich nur ein sehr riskanter letzter Ausweg.
In der aktuellen Folge des 3W6-Podcast wird erwähnt, man hätte dich beim Spielleiten von Schwere See bereits erlebt. Wie fühlt es sich an, das Spiel zu leiten? Was sind die gravierendsten Unterschiede zu traditionelleren Rollenspielen?
Im Grunde dasselbe, was auch für Dungeon World, The Sprawl u. ä. gilt: Man muss noch stärker auf das hören, was die Spieler vorhaben und sich von dem Gedanken eines linearen Plots verabschieden. Aber der Umstieg ist bei weitem nicht so gravierend, wie es den Anschein hat. Am schwierigsten ist es vielleicht, die Gruppe auf einem Segelschiff umherfahren zu lassen, ohne zu sehr ins Piraten-Genre abzudriften…
Anders als z. B. Dungeon World, das ja gar kein festes Setting mitliefert, ist Schwere See in einem relativ klar abgesteckten realhistorischen Rahmen angesiedelt, den Britischen Inseln zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Wie tiefe Geschichtskenntnisse muss man mitbringen, um an Schwere See Spaß haben zu können?
Ein Geschichtsstudium ist trotz des Settings nicht notwendig. Es reichen gewisse Grundsätze: Die Leute hier sind arm, haben politisch nichts zu sagen und folgen uralten Traditionen. Wer kann, fischt – wer nicht kann, wird Schmuggler. Und ansonsten beginnt auf dem Festland grade das Viktorianische Zeitalter mit seinen Dampfschiffen und Fabriken. Interessanter als der historische Hintergrund sind eher die menschlichen Schicksale, die dadurch angestoßen werden.
So tief die schwere See, ein B5-Hardcover mit ca. 250 Seiten, kostet bei euch knapp 40 Euro. Das Grundregelwerk zu Shadowrun 6, eine andere Neuerscheinung in diesem Jahr, wird bei Pegasus Spiele knapp 20 Euro kosten. Der Band soll ebenfalls ca. 300 Seiten haben, kommt allerdings als A4-Hardcover heraus. Was kannst du uns dazu sagen? Wie kommen solche Unterschiede zustande?
Da ich oben so viel über den Produktionsablauf geschrieben habe, stelle ich hier keine Spekulationen zu evtl. Unterschieden in der Mitarbeitervergütung an, sondern kann mich kurzfassen: Shadowrun ist eine der beliebtesten Produktreihen des deutschen Markts – je höher die Gesamtauflage, desto günstiger das Einzelexemplar. Theoretisch ist es außerdem möglich, über viele Zusatzbücher ein Grundregewerk querzufinanzieren. Schwere See ist eben nur ein Nischenprodukt für eine Handvoll Liebhaber.
Stefan über Powered by the Apocalpyse
Lass uns nochmal über Powered by the Apocalypse (PbtA) allgemein sprechen. Apocalypse World von D. Vincent Baker und Meguey Baker erschien in seiner ersten Edition 2010. Auf dem Design der Apocalypse Engine bauen seither unzählige weitere Spiele auf, darunter etwa auch Adam Koebels und Sage LaTorras Dungeon World. Eure Übersetzung von Dungeon World erschien 2017 als erster deutschsprachiger PbtA-Titel. Warum hat es so lange gedauert, bis PbtA im deutschen Sprachraum ankam?
So überraschend finde ich das gar nicht – alle Trends brauchen etwas länger, bis sie es über den großen Teich schaffen (geht nochmal durch und zählt alle Seefahrts-Analogien in diesem Interview!). Und bei Indie-Spielen dauert es eben nochmal etwas länger, da sie in der Regel auch von hiesigen Indie-Verlagen adaptiert werden. Dass es nicht an einer teutonischen Starrköpfigkeit liegen kann, zeigen ja die „DSA-Erzählregeln“, womit das größte deutsche Rollenspiel mit PbtA umgesetzt wird.
Was war dein persönlicher Erstkontakt mit PbtA? Wann war das ungefähr?
Das war auf einer kleinen Privat-Con, ich glaube irgendwann 2015. Ich sah die Charakterbögen von Dungeon World, las, dass alles, was meinen Paladin ausmacht, zum Ankreuzen vor mir liegt und war begeistert.
Ihr habt noch einige weitere Spiele aus dieser Sphäre angekündigt oder zumindest angedeutet, darunter Mythos World, Blades in the Dark und Monsterhearts. Was kannst du uns zu den jeweiligen Bearbeitungsstadien verraten?
Ja, alles Spiele auf die ich mich sehr freue!
Die Übersetzung von Mythos World ist abgeschlossen und sobald die Schwere See erschienen ist, kann ich mich daran machen, den Text umzustellen und zu erweitern. Hierzu haben wir übrigens Unterstützung von alten Bekannten aus der deutschen Cthulhu-Szene geholt…
Bei Blades in the Dark und Monsterhearts läuft die Übersetzung noch. Ersteres wird wieder von Tina bearbeitet, die den schwersten Regelbrocken schon hinter sich hat. Letzteres wird von einem Team unter der Leitung von Friederike Bold übersetzt, das mit besonders geschultem Blick auf das queere Hintergrundthema achtet.
Mit ins Blaue hinein prophezeiten Veröffentlichungsterminen halten wir uns inzwischen aber zurück – ein weiterer Luxus, den unser Verzicht auf Kickstarter u. ä. mit sich bringt!
Was ist dein persönlicher Eindruck, wie PbtA in der deutschsprachigen Rollenspielszene aufgenommen wurde bzw. wird?
Recht positiv, finde ich. Zumindest lese ich immer wieder von sehr zufriedenen Leuten und auch spannenden Eigenentwicklungen. Ich glaube, es holt die doch recht große Fraktion derer ab, die sagen, „Die Story ist mir wichtiger als die Regeln“, und kann ihnen zeigen, dass die beiden Teile kein Widerspruch sein müssen.
Natürlich gibt es auch solche, die mit PbtA nichts anfangen können – und das ist völlig okay. Mein einziger Kritikpunkt wäre vielleicht die hierzulande nicht unübliche Tendenz, nur das eine „perfekte“ Rollenspiel haben zu wollen, um dann nie wieder über den Tellerrand schauen zu müssen. Man kann z. B. durchaus D&D und Dungeon World gleichzeitig gut finden – ich bin der Beweis!
Möchtest du eine Zukunftsprognose abgeben? Bleibt PbtA eine Randerscheinung oder besteht Potenzial für eine größere Verbreitung?
Zunächst mal ist unser ganzes Hobby eine Randerscheinung. 😉 Aber ja, ich sehe noch Luft nach oben – sonst würden wir ja kaum noch einige Spiele dieser Sparte nachschieben! Ich denke, es wird sich in der keinesfalls ehrenrührigen Sparte der „Kenner-“ oder „Zweitspiele“ etablieren, eben so wie es Savage Worlds oder Fate tun oder getan haben. Nicht zuletzt deshalb, weil nur herausragende Spiele zur Übersetzung herausgepickt werden und wir gewissermaßen nur das von PbtA importieren, was gut funktioniert.
Was ich aber auch glaube, ist dass der Trend zu mehr Spielerbeteiligung und Erzählspiel auch seine Spuren in klassischeren Spielen hinterlassen wird, ohne dass dabei zwingend PbtA auf dem Umschlag stehen wird.
Weitere Spiele und Conventions
Welche Rollenspiele außerhalb des Portfolios von System Matters magst du noch gerne?
Ich wünschte wirklich, ich hätte mehr Zeit, all das auszuprobieren, was mich reizt… An „auswärtigen Spielen“ ist bei uns am Tisch im Moment The One Ring am aktivsten – ich nenne es immer in einem Atemzug mit Blades in the Dark, wenn ich gutes Regeldesign hervorheben will. Hervorragende Genre-Games, die ich darüber hinaus gerne spiele, sind Honor & Intrigue (Mantel-und-Degen-Action) und Warbirds (Piloten-Asse im Stil von Crimson Skies).
Ironsworn und Swords Without Master haben mir beim Antesten auch sehr gut gefallen, und Mutant: Year Zero und HeXXen 1733 liegen auf meinem Stapel … Eine Schwäche habe ich mir außerdem für meine Jugendsysteme bewahrt: D&D und Call of Cthulhu.
Auf welchen Conventions kann man System Matters und/oder dich persönlich in diesem Jahr noch antreffen?
Als einen der Affen an den Schreibmaschinen lässt man mich selten raus. Aber ich werde im September auf der 3W6-Con der Wiener Kollegen aufschlagen. Und natürlich auf der Spielemesse in Essen. Wir sehen uns dort!
Letzte Details zur Vorbestellung bei System Matters
Herzlichen Dank, Stefan!
Wer noch mehr über So tief die schwere See erfahren möchte, kann sich auf jeden Fall die Podcast-Reihe dazu anhören. Diese Woche erschien die zweite Folge unter dem Titel „Spielthema und Konflikte“ und es steht zu erwarten, dass noch weitere folgen werden.
Die Vorbestellaktion bei System Matters läuft noch eine knappe Woche, bis zum 30. Juli. Das PDF des Bandes kostet, 24,95 €, das gedruckte Buch als vollfarbiges Hardcover mit ca. 250 Seiten 39,95 € und beide zusammen bekommt ihr für 49,99 €.
Der Link zu The One Ring verweist noch auf die alte Cubicle7 Website.
Gut aufgepasst, hab ich geändert. Danke Dir