Spielleiten auf Conventions – leichter gesagt, als getan
Angemessene Kennzeichnung der Inhalte
Basis für die Einwilligung
Angenommen, ich habe mich mit potenziell problematischen Inhalten meiner geplanten Spielrunde auseinandergesetzt. Ich habe mir bewusst gemacht, auf welche Probleme ich mit bestimmten Themen oder SL-Techniken oder auch allein durch die Auswahl des Genres bereits stoßen kann. Ich habe mir überlegt, wie ich damit umgehen will und welchen Aufwand das bedeuten könnte, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die Spielrunde in dieser Form auf einer Convention anbieten kann und möchte. Nun muss ich meine zukünftigen Spieler auf die Situation aufmerksam machen.
Wie so ziemlich alle zwischenmenschlichen Aktivitäten erfordert auch die Teilnahme an einer Rollenspielrunde aktive Einwilligung der Teilnehmer. Diese Einwilligung kann übrigens zu jeder Zeit während des Spiels widerrufen werden, selbst wenn sie anfänglich erteilt wurde (darauf komme ich später noch zu sprechen). Damit meine Spieler diese Einwilligung jedoch erteilen können, brauchen sie eine Vorstellung davon, was sie erwartet, worauf sie sich einlassen, wenn sie an dieser Spielrunde teilnehmen.
18+ ist zu unspezifisch
Die Spielrunde, während der im Beispiel der UKGE der besagte Vorfall stattgefunden hat, war nachweislich als „18+“ gekennzeichnet. Manche vertreten die Ansicht, das reiche als Warnhinweis aus, verweisen auf Filme oder Videospiele, bei denen Hinweise wie „Rated R“ oder „FSK 18“ zum Einsatz kommen. Auch der betroffene SL schien davon überzeugt gewesen zu sein, dass seine Spieler damit ausreichend informiert wären. Ich persönlich sehe diesen Sachverhalt anders.
„Altersfreigabe ab 18 Jahren“, wie auch immer man diesen Hinweis genau formuliert, diese Angabe allein ist äußerst vage und gibt keinerlei Aufschluss über die Themen, die im geplanten Rollenspielszenario bespielt werden sollen. Für Filme und Videospiele sind diese Kategorien mehr oder weniger definiert – im Rollenspiel gibt es derartige Definitionen meines Wissens nach nicht. Man kann möglicherweise ungefähr herleiten, was damit gemeint sein könnte, aber was der Spielleiter damit genau meint, erfährt man erst, wenn er es einem verrät. Wenn ich nun aber meine Zustimmung zu etwas erteilen soll, das praktisch alles bedeuten kann, gebe ich dem SL damit eine Blankovollmacht in die Hand. Dies von Menschen zu erwarten, die man in dem Moment zum ersten Mal im Leben trifft, halte ich für etwas bedenklich. Als Spielleiter sollte ich mir zumindest bewusst sein, welchen Vertrauensvorschuss ich da verlange.
Beispiele für FSK18
Einige Beispiele für typische FSK18-Themen, um zu verdeutlichen, wie vage eine derartige Angabe ist: Wenn ich mir unter FSK18 exzessive Gewaltdarstellung vorstelle und dem zustimme, heißt das noch lange nicht, dass ich auch mit explizit beschriebenen Sexszenen einverstanden bin – ein anderes typisches „FSK18-Thema“ – und umgekehrt. Angenommen, ich habe mit diesen beiden Interpretationen der Altersfreigabe kein Problem, bedeutet das wiederum nicht, dass ich mit sexueller Gewalt im Spiel einverstanden bin. Und selbst wenn ich mit all diesen Dingen einverstanden bin, was NSC angeht, möchte ich vielleicht trotzdem nicht, dass mein Spielercharakter davon betroffen ist.
In dem Beispiel der UKGE-Spielrunde wurden die Spielercharaktere anscheinend mit Drogen bewusstlos gemacht, entführt und erwachten nackt und aneinandergekettet. Diese Art von Inhalt würde in Filmen möglicherweise nicht unter FSK18 fallen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass derartiges Ausgeliefertsein bereits für viele Spieler ein Problem darstellt. Leider ist es alles andere als ausgeschlossen, dass Rollenspieler, die auf einer Convention an einer solchen Spielrunde teilnehmen, in Berührung mit K.O.-Tropfen oder ähnlichem gekommen sind und dabei schlimme Erfahrungen machen mussten. Die Angabe „18+“ hätte jemand bei der Anmeldung vielleicht anders interpretiert, hätte sich z. B. vorgestellt, dass man mit Kettensägen gegen Zombies kämpfen würde und einem Gedärme um die Ohren fliegen. Jemanden, der in Hinblick auf K.O.-Tropfen vorbelastet ist, unerwartet mit einer solchen Situation zu konfrontieren wäre äußerst unglücklich.
Ausführliche Auflistung sensibler Themen hilft
Ehrlicher und transparenter und letztendlich für ein sicheres und harmonisches Spiel zielführender wäre es, die Angabe zum Inhalt der Spielrunde ausführlicher zu gestalten. Manche kürzlich erschienen Rollenspielbände listen problematische Themen auf, die in Abenteuerszenarien aufkommen. Eine vergleichbare Methodik ließe sich auch in die Beschreibung oder Ankündigung für Spielrunden auf Conventions aufnehmen. Natürlich könnte so eine Liste niemals vollständig sein. Themen, die Menschen Schwierigkeiten bereiten, sind manchmal hochgradig individuell und selbst wenn ihr die Reizthemen in der privaten Runde ausreichend einschätzt, könnte beim Spiel mit völlig Unbekannten immer etwas aufkommen, das nicht aufgeführt war.
Dennoch kann eine ungefähre Auflistung der Themen, die die Spielrunde mutmaßlich behandeln wird, Spielern helfen, zu beurteilen, ob ihnen dieses Spiel Spaß machen wird. Auf Spielleiterseite sorgt eine genauere Angabe der aufkommenden Themen dafür, dass ich in meiner Spielrunde mit höherer Wahrscheinlichkeit Spieler sitzen haben werde, die damit tatsächlich einverstanden sind. Umso geringer, wenn auch niemals völlig ausgeschlossen, ist das Risiko, dass ich mit einem Spiel, das mir persönlich Spaß macht, bei meinen Mitspielern das genaue Gegenteil auslöse. Zudem ist die Chance höher, dass ich Spieler mit mir am Tisch habe, die ungefähr dasselbe Spiel wollen, wie ich, und dass es reibungslos verläuft – was will man als Spielleiter mehr?
Sicherheitstechniken
Die X-Card
Okay, angenommen, ich habe all diese Überlegungen berücksichtigt. Ich spiele mit unbekannten Menschen auf einer Convention ein Spiel mit „erwachsenen“ Themen, dem sie zunächst allgemein zugestimmt haben und doch reagiert jemand unerwartet negativ auf eine Szene im Spiel. Selbst wenn ich vorher bestimmten Themen ausdrücklich zugestimmt habe, kann sich meine Meinung jederzeit ändern, wenn es sich im Spiel so ergibt. Wie gehen wir dann damit um?
Moderne Rollenspielwerke gehen zunehmend auf Sicherheitstechniken ein. Eines der prominentesten Werkzeuge ist die X-Card oder Sicherheitskarte. Die angegebene Situation wäre ein Beispiel, in dem jemand von der Sicherheitskarte Gebrauch machen könnte. Die genaue Funktionsweise dieses Werkzeugs ist an anderer Stelle beschrieben, der relevante Teil hier ist, dass das Spiel kurz unterbrochen wird und problematischer Content identifiziert und aus dem Spiel entfernt oder ggf. durch etwas anderes ersetzt wird.
Wem die spezielle Symbolik des Hochhaltens einer Karte mit dem X nicht zusagt, dem stehen andere Möglichkeiten mit sehr ähnlichem Ergebnis zur Verfügung. Statt einem X könnte man auf eine „Pausetaste“ zeigen, um das Spiel anzuhalten. Man könnte mit den Händen das bekannte T für „Timeout“ anzeigen oder sämtliche der genannten Optionen verbal äußern, vielleicht mit einem vereinbarten „safe word“ oder ähnlichem. Ich persönlich halte es für eine gute Idee, eine gewisse Symbolik dafür zu etablieren, damit sofort alle wissen, was gerade passiert.
In der Situation auf einer Convention im Spiel mit Fremden ist es vielleicht nicht für jeden einfach, derartige Momente offen anzusprechen. In der Position als Spielleiter sehe ich mich dann in der Verantwortung, den Gebrauch der verwendeten Sicherheitswerkzeuge vor Beginn des Spiels zu erklären, vielleicht zu Anfang zu demonstrieren (wie die Beschreibung der X-Card es beispielsweise vorschlägt) und auf jeden Fall zu versuchen, die Hemmschwelle für ihren Einsatz bestmöglich zu senken.
Lines and Veils – Grenzen und Ausblendungen
Am Anfang der Spielrunde ist auch ein guter Zeitpunkt, um meinen Spielern nochmal meine Liste von potenziell problematischen Themen des Szenarios zu nennen und sie darum zu bitten, diejenigen zu nennen, mit denen sie sich unwohl fühlen, und die Liste ggf. zu erweitern. In diesem Moment habe ich bereits begonnen, das Konzept von Lines and Veils bzw. Grenzen und Ausblendungen umzusetzen.
Wenn meine Mitspieler bestimmte Themen komplett aussortieren, wären das Grenzen. Wenn sie ein Thema angedeutet im Spiel behalten, aber nicht in den Fokus des Geschehens rücken wollen, wäre das eine Ausblendung. Es ist auch möglich, dass jemand ein Thema nennt, bei dem er noch nicht einschätzen kann, wie es ihm bekommt. Auch das ist eine relevante Information für mich, denn dann kann ich als SL dieses Thema vorsichtig angehen und wenn es für den Betreffenden okay ist, evtl. ausbauen. Was damit auch ausgedrückt wird, ist der Wunsch, mit so etwas bitte nicht überrascht oder geschockt zu werden, falls ich vorhabe, derartige SL-Techniken einzusetzen.
Stimmungslage mit Check-Ins prüfen
Wenn ich auf bestimmte Überraschungseffekte abziele – aber nicht nur dann! – sollte ich gelegentlich innehalten und mir einen Eindruck verschaffen, wie es meinen Spielern mit der momentanen Situation geht, ob alles in Ordnung ist oder ob es Klärungsbedarf gibt. Solche sogenannten „Check-Ins“ bieten sich für jedwede Spielrunde an, einfach um hin und wieder die aktuelle Stimmungslage zu überprüfen. In besonders intensiven Spielrunden oder in Momenten mit hohem Konfliktpotenzial sind sie jedoch umso wichtiger. Dabei macht es überhaupt nichts, wenn das Spiel für einige Sekunden zum Stillstand kommt. Jederzeit kann ich auch direkt nachfragen, ob alles in Ordnung ist, ob alle mit den angespielten Inhalten und dem Spielverlauf zufrieden sind. Wenn alles in Ordnung ist, werden mir meine Spieler das üblicherweise sehr schnell bestätigen, denn sie wollen ja weiterspielen. Gibt es jedoch bei einem oder mehreren Spielern Probleme, habe ich so die Gelegenheit, darauf zu reagieren, bevor sie vielleicht schlimmer werden. Wenn ich das Szenario ausführlich vorbereitet habe (das tue ich nicht bei jedem Spielsystem), kann ich mir schon bei der Vorbereitung passende Stellen überlegen, an denen ich kurze Check-Ins durchführen sollte. Für ein lockereres Spiel, bei dem ich wenig Konfliktpotenzial erwarte, könnte ich mir auch einen subtilen Timer stellen, um Check-Ins zumindest in bestimmten Intervallen durchzuführen.
Open Doors bzw. Open Table
Eine weitere Sicherheitstechnik nennt sich Open Doors bzw. Open Table oder in der Fassung bei Tina Trillitzsch „die Tür ist immer offen“. Damit ist gemeint, dass meine Spieler jederzeit aus meiner Spielrunde aussteigen und den Tisch, den Raum o. ä. verlassen können, wenn ihnen danach ist. Ob das dauerhaft ist oder vielleicht nur kurzzeitig, um schnell frische Luft zu schnappen, sich zu sammeln und wieder zurückzukehren, ist einzig und allein die Entscheidung des betroffenen Spielers. Wie auch bei der Anwendung der Sicherheitskarte ist mir der Spieler keine Rechenschaft, Erklärung oder ähnliches schuldig. Um weiterspielen zu können, müssen wir gegebenenfalls herausfinden, welches Spielelement das Problem genau verursacht hat und dieses dann entfernen. Darüber hinaus darf und will ich aber natürlich niemanden unter Druck setzen.
Wie zuvor auch schon erwähnt, ist der Einsatz einer solchen Maßnahme mit einer gewissen Hemmschwelle behaftet. Schließlich sind viele von uns so erzogen worden, dass es unhöflich sei, einfach vom Tisch aufzustehen. In der Convention-Situation, wenn man die anderen nicht kennt, mag dieser Effekt noch verstärkt werden. Deshalb finde ich es als SL wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, so gut das eben unter Convention-Bedingungen möglich ist, damit ich meinen Spielern das Gefühl vermittle, dass es wirklich auch in Ordnung wäre, wenn sie solche Maßnahmen ergreifen müssten.
Fortsetzung auf der nächsten Seite.