Spire: The City Must Fall bei System Matters – ein Interview
Das frostige Hochelfenkönigreich Amaranth hält den Spire, die Heimat der Dunkelelfen, schon viele Jahre besetzt. In Spire: The City Must Fall seid ihr ein essentieller Bestandteil von Geschehnissen, die die alte Ordnung wiederherstellen sollen. Das Rollenspiel erschien 2018 bei Rowan, Rook and Decard. Bei System Matters startet am 28. Februar die Vorbestelleraktion für die deutsche Version des Spiels. Viele Arbeiten daran sind bereits getan und das Spiel wird schon im April oder Mai gedruckt erscheinen können. Spire versteht sich als Fantasy-Punk-Spiel und thematisiert Rebellion, Brutalität und Unterdrückung. Damit ist das Setting wahrscheinlich keine leichte Kost, wenn es sich den Fragen widmet: „Wie weit wirst du gehen? Was bist du bereit zu opfern, um zu erhalten, was du dir verdient hast?“
Interview zu Spire: The City Must Fall
Zu Spire: The City Must Fall haben wir mit Frank Reiss als Redakteur des Projekts bei System Matters gesprochen. Frank, und an einer Stelle Daniel Neugebauer, haben uns ein paar Fragen beantwortet, deren Antworten wir euch natürlich nicht vorenthalten möchten.
In eigenen Worten, worum geht es in Spire: The City Must Fall?
Frank Reiss: In Spire spielt man eine Gruppe von Drow-Revolutionären, die Teil einer verbotenen Geheimorganisation – eines paramilitärischen Kultes – sind und deren festes Ziel es ist, ihre Stadt, den Spire, aus dem Griff der Hochelfen – oder Aelfir – zu befreien. Eigentlich war der Spire nämlich die Heimat der Drow, bis die Aelfir die Stadt vor über 200 Jahren eroberten und sich die Drow zu ihren Untertanen auserkoren haben.
Das Setting wird ja als Fantasy-Punk beschrieben, was muss man sich darunter genau vorstellen?
Frank Reiss: Es ist gar nicht leicht, das Setting von Spire einem „klassischen“ Genre zuzuordnen. Vom Technologielevel her würde ich es eher dem viktorianischen Zeitalter zuordnen – es gibt zum Beispiel Fabriken und Schusswaffen und andere Maschinerie. Andererseits spielen Magie, Okkultismus und vor allem Religiosität eine große Rolle in der Gesellschaft. Urbanität mit all ihren Licht- und Schattenseiten ist ebenfalls ein wichtiges Element: Es gibt große Märkte, Häfen, Theater und andere Annehmlichkeiten, aber auch eine düstere, durch Armut geprägte Unterwelt voller Gangs, Drogenhandel und korrupten Stadtwachen. Der Punk kommt schließlich durch ein ganz zentrales Thema ins Spiel: Der Kampf der entmachteten Drow gegen die übermächtigen, privilegierten Aelfir. Dieser Konflikt ist das Herzstück der Geschichten, die in Spire erzählt werden.
Worin unterscheiden sich die Hoch- und Dunkelelfen von gängigen Fantasyszenarien? Sind die Rollen von Hoch- und Dunkelelf einfach nur umgedreht oder ist es komplizierter?
Frank Reiss: Auch wenn beide Elfenspezies an die klassischen D&D-Versionen ihrer selbst angelehnt sind, unterscheiden sich Drow und Aelfir in vielen Aspekten von ihren Vorbildern: Die Aelfir werden als wunderschöne arkane Wesen beschrieben, als fremdartig und abgehoben. Weil sie aus dem hohen Norden stammen, mögen sie die Kälte, leben in Eispalästen in den oberen Stadtvierteln des Spire und baden regelmäßig in Eiswasser, um ihr Blut zu kühlen. Sie sind aber auch skrupellos und grausam in ihrem Umgang mit den Drow und führen einen erbitterten Expansionskrieg mit anderen Völkern der Spielwelt außerhalb von Spire.
Die Drow haben nicht – wie in anderen Spielen – schwarze Haut, sondern weisen verschiedene monochrome Schattierungen auf: Grau, schwarz, weiß, etc. Sonnenlicht verbrennt ihre Haut und sie sind ein zutiefst religiöses Volk. Dunkelelfen gebären ihre Nachkommen nicht lebend, sondern in Eiern, die dann von einer speziellen Gruppe von Hebammen aufgezogen werden.
Mitglied eines paramilitärischen Kults – das klingt ja nicht nach den typischen „Guten“. Was genau ist dieser Kult und welche Motivationen bringt er mit sich?
Frank Reiss: Der Kampf gegen die herrschenden Aelfir wird von einer geheimen Tempelloge gesteuert – die Spielercharaktere stehen im Dienst dieser Loge und führen in ihrem Auftrag Missionen durch, die das Ziel haben, die herrschenden Strukturen der Aelfir zu schwächen. Es ist ein Kampf im Verborgenen, kein offener Krieg. Die Tempelloge versucht beispielsweise Einfluss in den einzelnen Stadtvierteln zurückzuerlangen, wichtige Positionen in den Institutionen der Stadt mit ihren Mitgliedern zu besetzen oder die Bevölkerung (vor allem natürlich die anderen Drow) für ihren Kampf gegen die Aelfir zu gewinnen. Die Spielercharaktere nehmen dabei natürlich eine zentrale Rolle ein.
Die bösen Besatzer und die unterdrückten, armen Besetzten. Wahrscheinlich ist es nicht so einfach, wie die Tempelloge suggeriert?
Frank Reiss: In Spire ist es tatsächlich nicht so einfach, in Kategorien wie Gut und Böse zu denken. Es ist vielleicht sinnvoller, sich Kategorien von Macht und ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung der Stadt anzuschauen: Die Aelfir haben den Drow ihre Stadt genommen, ihre Bewohner*innen zu Lebewesen zweiter Klasse degradiert und zwingen sie zu einem mehrjährigen Frontdienst. Die Drow erledigen die harte Arbeit in den Fabriken der Stadt, damit die Aelfir in ihren Palästen ein luxuriöses Leben führen.
Militärische Organisationen bringen ja oft auch Hierarchien mit sich, inwieweit sind die Spieler von diesen bestimmt? Welche Freiheiten liefert Spire den Spielern abseits davon?
Frank Reiss: Die Tempelloge ist eine sehr lose organisierte Gruppierung. Die Spielercharaktere bilden eine Widerstandszelle, die zwar Aufträge und Informationen aus der Loge erhält, z. B. über lukrative Ziele und vielversprechende Missionen. In der Wahl ihrer Mittel sind die Charaktere aber frei und es wird sich ihnen im Spiel immer wieder die Frage stellen, welche Mittel der Zweck heiligt. Mordend und brandschatzend durch die Viertel der Aelfir zu ziehen, hat Auswirkungen. Die korrupte Kapitänin der Stadtwache, die den Aelfir zuarbeitet, ist vielleicht auch eine Drow. Eine Fabrik in Aelfirbesitz niederzubrennen, schadet zwar ihrem Besitzer, führt aber auch dazu, dass Dutzende Drow kein Geld mehr verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Diese moralischen Dilemmata sind ebenfalls fest im Setting verankert.
Zu Spire: The City Must Fall sind ja auch ein Settingband und verschiedene Szenarien erschienen. Wird alles davon erscheinen? Von wann bis wann wird die Vorbestellung laufen und was wird es kosten?
Frank Reiss: Die Vorbestellung wird am Freitag, dem 28. Februar starten und vermutlich bis zum 27. März laufen. Wer das Spiel vorbestellt, erhält schon während der Vorbestellung Zugriff auf das PDF des Grundregelwerks und kann losspielen. Wir werden erst einmal das Grundregelwerk gemeinsam mit dem Einstiegsszenario Staub & Blut veröffentlichen, damit Spielgruppen auch die Möglichkeit haben, direkt loszuspielen. Was noch erscheinen wird, hängt stark davon ab, wie gut Spire von der deutschsprachigen Rollenspielszene aufgenommen wird.
Was interessierte euch an Spire am meisten, sodass ihr euch entschieden habt, es auf Deutsch herauszubringen? Gab es Herausforderungen bei der Vorbereitung?
Frank Reiss: Sowohl Daniel als auch ich sind auf Spire im Zuge der durchaus erfolgreichen Kickstarter-Kampagne für das englischsprachige Original aufmerksam geworden. Sowohl das Setting als auch das phantastische Artwork hat uns damals beeindruckt. Nach Erscheinen des Spiels war klar, dass es sich bei Spire um ein ziemlich einzigartiges Rollenspiel handelt. Neben der schon erwähnten tollen Präsentation verfügt das Spiel über ein erzählorientiertes, einfach zu erlernendes Regelsystem, das auf wenige Seiten passt: Fast alles wird über einen W10-Würfelpoolsystem abgehandelt, egal ob Kampf, soziale Interaktion oder der Einsatz von Magie.
Mich persönlich hat an Spire außerdem der starke politische Bezug gereizt, der das Spiel maßgeblich prägt: Nicht zufällig erinnert die Eroberung Spires und der Umgang der Aelfir mit den Drow an den Kolonialismus in unserer Welt und dessen Folgen. Aber auch Themen wie Klassismus und die Auswirkungen ausbeuterischer Herrschaftssysteme auf die Bevölkerung werden in Spire aufgegriffen.
Welcher Begriff war bei der Übersetzung die größte Herausforderung?
Frank Reiss: Die Frage kann ich gar nicht so leicht beantwortet, da es gleich mehrere Begriffe gibt, mit denen wir lange gerungen haben. Da wäre zum einen natürlich die Tempelloge, die im englischen Original Ministry heißt. Da es sich aber um eine religiöse Organisation handelt, konnten wir sie nicht mit Ministerium übersetzen. Und auch beim Titel des Spiels haben wir hin- und herüberlegt: Turm, Spitze, Helm – nichts davon klingt so richtig spannend auf dem Cover eines Rollenspielbuchs. Wir haben uns deshalb entschieden beim Original zu bleiben und das Spiel Spire zu nennen. Die Stadt selbst wird als der Spire bezeichnet, in Anlehnung an einen Turm.
Wie eng war der Kontakt mit den Autoren? Hattet ihr bei der Arbeit Zugang zu erweitertem Hintergrundmaterial oder habt ihr allein auf Basis des englischen Originaltextes gearbeitet?
Frank Reiss: Unser Übersetzer Robert Maier hat sich große Mühe gegeben, den Flair des Originals einzufangen und ins Deutsche zu übertragen. Er hat dabei lediglich den Originaltext als Arbeitsgrundlage gehabt. Bei einem Setting, das so viele seltsam klingende, aus unterschiedlichen realweltlichen Sprachen entlehnte Begriffe für Orte, Berufsbezeichnungen und Charaktere verwendet, war das eine große Herausforderung. Robert hat das wirklich hervorragend gemacht und ich denke, dass wir mit der deutschen Übersetzung ein wirklich gutes Produkt abliefern können.
Habt ihr es selbst schon gespielt? Wie lange und was ist die wichtigste Erkenntnis, die ihr für das Spiel dabei gemacht habt?
Frank Reiss: In den vergangenen Monaten habe ich Spire ein paar Mal geleitet und dafür meistens das Szenario Staub & Blut mit seinen vorgefertigten Charakteren verwendet – es gibt einen sehr guten Einblick in die Welt und die Geschichten, die man in ihr erleben kann. Die größte Erkenntnis beim Spielen von Spire für mich war, dass alle Spielsitzungen völlig unterschiedlich ablaufen. Das liegt zum einen an der offenen Struktur der Szenarien, die keine festen Lösungswege oder Szenenabfolgen vorgeben. Zum anderen glänzen die 10 verschiedenen Charakterklassen allesamt durch Fähigkeiten, die teils stark in die Spielwelt eingreifen und Szenen sehr schnell in eine völlig andere Richtung lenken können.
Was mich nachhaltig beeindruckt hat, waren die moralischen Dilemmata, die während des Spiels entstanden sind. Das teils sehr absurde, an manchen Stellen auch humoristische Setting bekommt dadurch immer wieder sehr düstere, ambivalente Facetten.
Layoutet ihr von Grund auf neu, oder bekommt ihr von euren Geschäftspartnern die originalen Layoutdateien?
Frank Reiss: Wir nutzen die originalen Layoutdateien, sodass das Spiel optisch sehr der englischen Version gleicht. Wir haben zur besseren Lesbarkeit lediglich ein paar kleine Änderungen vorgenommen.
Mit welcher Software arbeitet ihr beim Layout und warum habt ihr euch so entschieden?
Daniel Neugebauer: InDesign, das ist im Grunde der Standard für Layoutsoftware. Rowan, Rook and Decard haben uns ihre Layoutdaten für InDesign zur Verfügung gestellt. Das ist oft üblich und man nutzt diese Daten dann für die deutsche Ausgabe. Oftmals ändert man das Format beispielsweise auf DIN-Format oder man muss gewisse Anpassungen vornehmen, weil die deutsche Sprache etwas wortreicher bzw. länger ist als das Englische. So haben deutschen Ausgaben manchmal etwas mehr Seiten als das Original, was zu kleineren Layoutveränderungen führt.
Wird man das Spiel während der Vorbestellung auch einmal bei euch probespielen können, zum Beispiel auf einer Con oder dem Gratis-Rollenspieltag?
Frank Reiss: Am Gratisrollenspieltag kann man das Spiel bei mir auf der GelsenCon, der hauseigenen Con des System Matters Verlags, testspielen. Außerdem werde ich auf der HeinzCon im Norden-Norddeich eine Testrunde anbieten.
Ein paar letzte Fakten zu Spire
Zum voraussichtlichen Preis konnte uns System Matters noch nichts sagen, doch geht die Aktion ja bereits am Freitag, dem 28. Februar los. Für das Originalspiel sind mittlerweile 3 Szenarien und 4 Erweiterungen erschienen. Das erste dieser Szenarien ist das von Frank genannte Blut & Staub, das im Original den Titel Blood and Dust trägt. Das Szenario ist für fünf Spielsessions ausgelegt. Es kann mit den vorgefertigten, jedoch auch mit eigenen Charakteren gespielt werden. Es spielt in der Unterstadt von Spire, die auch der Underspire genannt wird. Dort geht es im Red Row chaotisch zu und die Tempelloge entsendet Novizen, um herauszufinden warum. Wie Frank im Interview verspricht der Teasertext ebenfalls ein offeneres Szenario:
Blood and Dust is a campaign frame for the Spire RPG intended to last around five sessions of play. Inside, you’ll find five pre-generated player characters (although players can make their own if they wish), a list of factions and events surrounding the goings-on in and beneath Red Row, and stats for relevant adversaries.
https://rowanrookanddecard.com/product/blood-and-dust-a-spire-scenario/
Das Folgeszenario Eidolon Sky spinnt die Geschehnisse aus Blood and Dust weiter. King of Silver wiederum liefert der Erklärung nach einen Kampagnenrahmen und somit weitere Freiräume für den Spielleiter und den Möglichkeiten der Gruppe. Die Erweiterungsbände sind derweil nicht nur als Regelerweiterungen mit weiteren Klassen zu verstehen. So enthält Strata: a Spire Sourcebook zum Beispiel auch acht Abenteuer.
Ob das Erscheinen von weiteren Szenarien oder Eweiterungsbüchern bei System Matters ähnlich verläuft, wie bei der Vorbestelleraktion zu Dungeon Crawl Classics, ist abzuwarten. Damals konnten durch das Ansammeln von gewissen Zwischensummen weitere Abenteuer früher als geplant erscheinen.
Was denkt ihr?
Freut ihr euch auf die deutsche Ausgabe von Spire: The City Must Fall? Werdet ihr an der Vorbestellung teilnehmen? Was gefällt euch an Spire: The City Must Fall? Spricht es euch vielleicht weniger an? Etwas mehr zum Setting könnt ihr euch auf Englisch zum Beispiel bei Gnome Stew in einer Rezension durchlesen.
Wir bedanken uns bei System Matters für das Interview und wünschen viel Erfolg bei der angestrebten Aktion.