Gruppenvertrag: Unterschreiben oder unterschieben?
Durch einige Zufälle kam bei mir das Thema Gruppenvertrag immer wieder in verschiedenen Diskussionen auf. Unter dem Begriff Vertrag versteht man normalerweise ja etwas ganz Formales. Es ist also nur natürlich, wenn man bei so einem Begriff erst einmal stutzig und skeptisch wird und einen Schritt zurücktritt.
Da manche der von mir beobachteten Diskussionen leider weniger sachlich verliefen und in heftige Abwehrreaktionen mündeten, wollte ich mich einmal mit dem Thema in Form eines Kommentars befassen. Diesen habt ihr nun vor euch – hoffentlich macht dieser manche Dinge etwas klarer. Er beansprucht jedoch keine allgemeine Gültigkeit, sondern ist einfach genau das: ein Kommentar und eine Meinung meinerseits.
Natürlich kann man das Thema auch sehr formal angehen. Es gibt auch einen ganzen Wikipediaeintrag zum Thema Rollenspieltheorie, in dem auch der Gruppenvertrag vorkommt:
Gruppenvertrag (Social Contract): Das gesamte Rollenspiel wird als sozialer Vorgang aufgefasst. Die Spielgruppe, bestehend aus den Spielern (dieser Begriff schließt in diesem Zusammenhang immer auch den Spielleiter ein), hat einen Gruppenvertrag ausgehandelt. Dieser umfasst alle sozialen Umstände und Regeln, die während des Spieles gelten. Die Aushandlung findet nur in geringen Teilen explizit statt und wird von den Spielern oft nicht als solche wahrgenommen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rollenspieltheorie#Gruppenvertrag
Ich möchte in dem Artikel jedoch etwas weg von den Vorurteilen bezüglich der Formalität. Wichtig ist, wie im Zitat bereits genannt: das Aushandeln findet größtenteils nicht explizit statt. So wird das Resultat auch nicht als Vertrag wahrgenommen. Außerdem ist dieser selten fest in Stein gemeißelt und ist oft sehr dehnbar und dynamisch wachsend.
Ein einfaches Beispiel
Wer sich online auf Rollenspielforen oder in Facebookgruppen herumtreibt, kennt solche oder ähnliche Ausschreiben von Spieler- oder Gruppengesuchen:
Hallo, wir suchen eine/n Mitspieler/in für eine Online-Runde Shadowrun. Wir spielen jede zweite Woche montags von 19:00 bis 22:00 auf Roll20, nutzen aber auch Discord für Absprachen. Es wäre schön, wenn du einen magisch begabten Charakter spielst, ist aber kein Muss.
An die Realität angelehntes, frei erfundenes Beispiel
Daran scheint erstmal nichts Besonderes zu sein. Doch dahinter versteckt sich so einiges, das natürlich in diesem einfachen Beispiel größtenteils recht offensichtlich ist. Sagt man jetzt „Ja, ich möchte mitspielen“, stimmt man bereits einem impliziten Gruppenvertrag zu. Welche Vertragspunkte haben wir denn, in die man einwilligt?
- Das Spielsystem ist Shadowrun
- Jeden zweiten Montag von 19:00 bis 22:00 zum Spielen auf Roll20 erscheinen
- Discord für Absprachen nutzen
Nicht wirklich geregelt ist, was bei Spielerausfällen oder anderen Dingen ist, jedoch wird man dieses unter Absprachen abtun, und mal schauen wie alle so organisiert sind. Auch nicht genannt ist die Edition von Shadowrun, eventuelle Hausregeln, Gruppengröße und -zusammensetzung usw. Genauso ist erstmal unklar, wie es darum bestellt ist, einen Charakter zu erstellen und diesen für den Termin bereitzuhalten.
Klingt zu einfach, oder?
Wer sich schon länger kennt und weiß, wie alle ticken, der wird manchmal nicht viel aussprechen müssen. Doch gerade bei Neuankömmlingen oder neu zusammengefundenen Gruppen kann es so einiges an klärungsbedürftigen Themen geben.
Viele hatten bestimmt schon einmal die Situation, dass ein neuer Spieler einmal zum Spieltermin kam und danach auf einmal verschwunden war … nur um dann drei Wochen und 2 Termine später zu schreiben, er wäre doch noch dabei. So etwas kann man als Vertragsbruch sehen. Dann wird darüber gesprochen oder entschieden, was passiert.
Diesem Ganzen einen Namen zu geben, macht es einfacher, über das Thema zu sprechen. Man spielt immerhin zusammen und erwartet, dass der Spielort und die Spieler akzeptiert und respektiert werden. Dennoch geht es je nach Spielzielen oder Interessen auch mal weiter, als „nur“ die übliche Nettikette oder gesellschaftlichen Gepflogenheiten abzuklären.
So kann eine Runde auch ganz klare Ziele oder Themen gesteckt haben. Dies könnte zum Beispiel folgendermaßen aussehen:
Thema der Rollenspielrunde: Die Rollenspielrunde Oberhausen hat sich unter anderem zusammengefunden, um die unterschiedlichsten Rollenspielsysteme auszuprobieren und somit ein breites Spektrum an Systemen kennen zu lernen. Unser Fokus liegt mehr auf den erzählerischen Aspekten des Rollenspiels, Jagden von Begegnung zu Begegnung sind nicht Ziel unseres Spiels. Klar dürfen Dungeons, Monster und Co. nicht fehlen, aber sie alleine machen für uns nicht den Reiz des Rollenspiels aus.
Gruppenvertrag, https://ruhrpottspieler.de
Die Session 0
Wichtig ist, dass ein Gruppenvertrag etwas ist, mit dem sich jeder Spieler identifizieren oder wiederfinden kann. Wer sich als Gruppe zusammenfindet, sollte sich darüber im Klaren sein, dass gewisse Regeln gelten. Solche Regeln sind jedoch nicht immer selbstverständlich oder entsprechen irgendeiner Norm. Implizite Regeln sorgen öfter für Konflikte, da sie in gelegentlich nur Ewartungshaltungen darstellen, die gerade von Unbekannten oder neuen Mitspielern nicht verstanden werden oder ihnen nicht bekannt sind.
Gerade aus diesem Grund haben sich in letzter Zeit immer öfter sogenannte Session Zeros in der Rollenspielszene bewährt. Wenn man sich vor Kampagnenstart einmal zusammensetzt, darüber spricht, welche Spielinhalte man möchte und den Rest absteckt, dann zieht man eigentlich wieder was auf? Ja, genau! Einen Gruppenvertrag.
Sicherheitstechniken, wie zum Beispiel die sogenannten Lines & Veils werden oft in einer Session Zero definiert. Doch auch Diskussionen wie wer den Heiler spielt, wieso man auf keinen Fall Magier sein will, usw. werden dort geführt. Natürlich muss je nach Gegebenheit auch erstmal definiert werden, wer überhaupt meistert und welches System gespielt wird.
Anleitungen zu Session Zeros und wie man diese gestaltet, gibt es viele. Darüber kann man sicherlich einen eigenen Artikel schreiben. So gibt es zum Beispiel auch eine hevorragende Podcast-Episode des Character Evolution Cast.
Und wenn man’s halt schriftlich mag?
Zum Thema Session Zero hat der Character Evolution Cast auch ein Dokument bereitgestellt. Dieser Session Zero Guide hat natürlich keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit und es gibt auch einige weitere Beispiele dazu. Manchmal ist es auch sinnvoll, eine speziell für ein System ausgelegte Checkliste zu haben. So wird im Session Zero Worksheet zu Dungeons & Dragons beispielsweise explizit nachgefragt, welche Regelwerke für die Charaktererstellung genutzt werden dürfen.
Solche Guides haben den Vorteil, dass man weniger in Gefahr gerät, etwas wichtiges zu vergessen. Dies mag nicht ausbleiben und auch eine schriftliche Festlegung sollte als in Stein gemeißelt gelten und dynamisch in Abstimmung änderbar sein. Die Liste, worüber man sich so einigen kann, ist generell sehr lang. Man wird immer etwas finden, das man spontan entscheidet oder Lösungen dafür finden muss. Etwas Schriftliches zu haben, kann jedoch explizit dann sehr hilfreich sein, wenn Spieler öfter wechseln oder rotieren. So muss man nicht immer wieder von vorne erklären, worauf sich die Spieler oder auch der Spielleiter einlassen.
Kontinuierliche Weiterentwicklung
Feedback ist wichtig, doch wird es leider oft vergessen. Nicht selten passiert es, dass ein Spielleiter grinsend und zufrieden nach einer Session heimfährt, ohne mitbekommen zu haben, dass eigentlich vor allem er selbst Spaß hatte. Wenn man von vornherein auch untereinander Feedback offen einbindet, wird man viel eher erkennen, falls etwas aus dem Ruder läuft.
Um kein Blame Game zu starten oder nur ein nickendes „alles super!“ zu kassieren, gibt es auch Techniken für Feedback wie z.B. Rose and Thorn. Dort wird man zum Beispiel gefragt, was jemandem heute am besten gefallen hat (Rose) und was einen heute am meisten gestört hat (Thorn).
Außerdem kann man nicht immer auf alle Situationen direkt vorbereitet sein. Der Spielleiter ist spontan nicht erschienen? Das Bier ist alle? Der Protokollant hat seine Notizen vergessen? Entweder gibt es bereits einen Präzedenzfall (Letzte Woche hab ich neues Bier besorgt, heute ist jemand anders dran) oder einen spontanen Einfall (Ich habe hier dieses neue Brettspiel, vielleicht können wir das ja heute stattdessen ausprobieren).
Nicht ausgesprochene Regeln oder Erwartungen können auch für Situationen sorgen, in denen man durch Feedback für Klarheit sorgen kann. Vielleicht war es in der Gruppe eines Spielers ganz normal, dass man irgendwann innerhalb der ersten Stunde antrudelte und dann bis mitten in der Nacht spielte. Wird nicht darüber gesprochen, ist bezüglich Pünktlichkeit und Ende vielleicht ein Konflikt vorprogrammiert.
Sozial? – Genial!
Ich finde auch, dass gerade solche Session Zeros auch wieder hervorragend ein Produkt der sozialen Effekte des Rollenspiels darstellen. Wie man sich aber letztendlich als Gruppe zusammenfindet und sein Hobby gestaltet, das sollte selbstverständlich individuell jeder Gruppe für sich überlassen sein.
Ein Gruppenvertrag ist jedoch keinerlei Hirngespinst oder ein weit hergeholtes, übertriebenes und formales Konstrukt. Jede Spielgruppe hat so einen Vertrag, ohne es zu wissen. Man redet vielleicht etwas anders darüber und rügt den Mitspieler vielleicht nur, dass er schon wieder den Hund nicht ignoriert oder die falsche Chipssorte mitgebracht hat … trotzdem hat man sich auf Spielumstände geeinigt, explizit oder implizit.
Also bitte, liebe Leser, haut nicht sofort Sprüche à la „Gruppenvertrag? Man kann es auch übertreiben!“ raus, wenn jemand Außenstehendes den Begriff Gruppenvertrag verwendet. Glaubt mir, ihr habt so etwas auch, und es ist gut, dass es ein sinnvoll verwendbares Wort als Grundlage für Gespräche darüber gibt.
Also mit diesen Beispielen ist wohl jeder Handschlag schon ein Gruppenvertrag zwischen zwei Menschen, die sich einer stillen Absprache bedienen. Nur weil man ein Wort von der Definition extrem weit fasst und hier jede kleine Kleinigkeit und Absprache als Vertrag angesehen wird, heißt dass aber nun nicht, dass das Wort dann auch sinnvoll genutzt ist.
Von daher, nicht bös gemeint aber: Gruppenvertrag? Man kann es echt übertreiben.
Es geht mir in erster Linie um Toleranz und Sensibilität dahingegen, dass wenn jemand einmal das Wort „Gruppenvertrag“ benutzt, dieser sich keinerlei Anfeindungen gegenübergestellt sehen muss.
Leider führte das Wort in manchen Umkreisen schon mal für nicht sehr freundliche Reaktionen, obwohl ja offensichtlich nichts schlimmes gemeint ist.
Ich wollte jetzt niemanden Aufzwingen jeden Handschlag als Vertrag zu sehen, obwohl man aus sozialpsychologischer Sicht sagen muss: Man kann nicht nicht kommunizieren und jede Absprache ist irgendwie auch ein Vertrag.
Das Kontra resultiert ja daher, dass der Begriff Vertrag nicht in einer sozialpsychologischen Sicht verstanden wird. Ich wüsste auch nicht, warum man so einer Definition im normalen Umgang miteinander folgen sollte. Da liegt mir, und wohl vielen anderen auch, die Begriffsdefinition aus dem Wirtschaftlichen oder auch aus dem Umgangssprachlichen erheblich näher. Ein Vertrag ist etwas Formales und keine simple Absprache. Toleranz und Sensibilität für fachspezifische Definition ist meiner Meinung nach im Sinne der allgemeinen Verständlichkeit untereinander nicht zu üben.
Und wenn jemand sagt, mal solle es nicht mit den Verträgen übertreiben, dann basiert das auf der umgangssprachliche Definition und das finde ich vollkommen in Ordnung.
Auch wenn ich jetzt die Gold-Waage auspacke: aber auch in der Wirtschaft bzw. im Kaufmännischen besiegelst Du einen Kaufvertrag, wenn Du im Supermarkt die Ware auf das Band legst und der/die Kassierer/in die Sachen über den Scanner zieht. Auch stillschweigende Kaufverträge sind möglich. Aber ich weiß was Du meinst. In erster Linie muss ich bei Verträgen auch an Verpflichtungen und Laufzeiten denken, wie wir es von Mobilfunk- oder Internetanbietern kennen. Ich wüsste aber auch nicht, wie ich das ganze im Rahmen einer Rollenspielgruppe nennen würde…
Auch wenn es keine Rechtsverbindlichkeit hat, wenn ich sage „Hey leute, ich leite Kampagne XY von lvl 1 bis 6“ geht erstmal jeder davon aus, dass man es ernst und verbindlich meint und wirklich die Kampagne spielen möchte…. für mich passt das Wort Gruppenvertrag da schon ganz gut, auch wenn es sich unterscheidet.
Weitergesponnen:
Hat es rechtliche Konsequenzen, wenn ich einfach verschwinde und die Gruppe keinen Spielleiter mehr hat? – Nein.
Hat es soziale Konsequenzen? – sehr wohl, ich lasse verbrannte Erde und alle aus der Gruppe werden wahrscheinlich auch weiter erzählen, dass ich das getan habe.
Klar, nur sind die Grenzen ab wann es übertrieben ist, erst einmal weit gesteckt. Das man der Idee oder Konzept, dem eine Rollenspielgruppe folgt, einen festen Namen gibt und sich auch darüber Gedanken macht, dagegen spricht doch erst einmal nichts?
Ich fand es vor Kurzem einfach schockierend, dass nur weil jemand vom Gruppenvertrag sprach, direkt angefeindet wurde – was hat er denn Schlimmes getan, außer um über das Vorgehen in der Gruppe sprechen zu wollen?
Es ist ein in der Rollenspieltheorie (und ja hier werden wir formal) instantiierter Begriff, den Du aber jederzeit gerne durch etwas anderes substituieren kannst 🙂
Und ich finde man sollte nicht sagen „Toleranz und Sensibilität …. ist nicht zu üben“, ich weiß jetzt zwar nicht wie genau Du das gemeint hast, aber es klingt für mich nach „Mit solchen Leuten, die solche Worte benutzen, will ich nichts zu tun haben“
Naja, wenn die Formalisierung nur durchgeführt wird, um eine Formalisierung zu haben, dann muss man sich schon fragen, ob das überhaupt sinnvoll ist. Gerade die Beispiele, die einfache und simple Absprachen und Vereinbarungen enthalten sind nicht rollenspieltypisch geschweige denn überhaupt bemerkenswert. Das macht man jeden Tag zu jeder Zeit sobald mehr als eine Person im Raum ist. Dafür brauche ich keinen neuen Fachbegriff entlehnen oder überhaupt nur einführen.
Wenn diese Umbenennung von allseitsbekannten Alltagssituationen einen wissenschaftlichen Anstrich erhalten soll, indem es ganz konkret als Vertrag bezeichnet wird, dann hat sich meine Sensibilität erschöpft. Das hat dann aber nichts mit der Person als solches zu tun und ich habe auch keine Toleranz für Anfeindungen.
Sprache ist ein Werkzeug, wie man sie verwenden möchte ist eine Sache.
Aber ich verstehe schon was Du meinst, für mich war der Begriff auch neu aber hat mir viele Augen geöffnet 🙂
Ich denke, Gruppenvertrag ist halt ein hochgestochenes Wort für Abmachungen die man trifft. Und Abmachungen trifft jeder der etwas abspricht. Dazu zählt halt auch schon der Termin und der Spielort, genauso wie das System und die Welt und welche Charaktere zugelassen werden und welche nicht. Ob geraucht werden darf, ob getrunken werden darf, ob gemeinsam gekocht, gar nicht gegessen oder bestellt wird. Und das sind schon mal gar nicht so wenige Sachen. Hinzu kommen meist mehr oder weniger Hausregelungen und Abenteuerabsprachen. Resümiert man mal, was die eigene Runde alles abgesprochen hat, dann sieht man schnell, dass es zwar nicht das hochgestochene Wort Gruppenvertrag braucht, aber man dieses doch schon rechtfertigen kann.
Jepp, und um mehr geht es auch nicht. Man könnte ja auch von „unseren Absprachen“ reden. Ich finde Absprachenkatalog wäre da jedoch hochgestochener als Gruppenvertrag 🙂
Et voilà: eine der im Artikel beschriebenen „heftigen Abwehrreaktionen“ (nicht bös gemeint). 😉
Man mag natürlich von dem Begriff „Vertrag“ als solchem halten, was man mag. Offensichtlich spielen da unangenehme Konnotationen aus alltäglichen Bereichen mit hinein. Im echten Leben wird ein Vertrag ja mit sehr ernsten Rechten und Pflichten assoziiert, bei deren Nichterfüllung unangenehme Konsequenzen oder gar Strafen drohen. Gut möglich, dass allein das Wort selbst manchen persönlich unangenehm berührt.
Eine exakte verbindliche Definition liefert Tulljamadjin ja auch mit Absicht nicht. Dennoch ist das Konzept, dass in einer Spielrunde eine ganze Fülle von expliziten wie (vor allem) impliziten Absprachen getroffen werden, hinreichend universell. Wenn man über dieses Konzept der Gesamtheit von Absprachen (Arbeitsdefinition) sprechen will, bietet sich da durchaus der Begriff eines „Vertrages“ an. Auch dieser beschreibt eine Ansammlung von freiwilligen Einigungen zwischen den involvierten Parteien bezüglich eines bestimmten Sachverhalts. Wenn man also das böse Real-Life mal ausblendet, hat man einen sehr treffenden Begriff für die Vereinbarungen, die in einer Rollenspielrunde getroffen werden (auch wenn sie nicht immer ausgesprochen werden).
Falls du eine andere Idee hast, wie man dieses Konzept beschreiben könnte, bin ich sehr gespannt, sie zu hören.
Ich habe nichts gegen Verträge, ich habe nur was dagegen Alltagssituationen mit vermeintlich Fachbegriffen zu verklären.
Du sagst es doch selbst. Vereinbarung, Absprachen oder was auch immer. Warum sollen diese Worte überhaupt ersetzt werden? Vorallem mit einem, was im allgemeinen eine andere Bedeutung hat. Vertrag mag in einem sozialpsychologischen oder sozialpädagogischen Umfeld in diesem Zusammenhang ein Begriff sein, aber das hat doch nichts mit der realen Welt und auch nichts mit dem Rollenspiel zu tun. Ich schließe keine Verträge mit meinen Freunden am Tisch ab, ob ich nun eine Pizza bestelle oder ein Bier trinke. Wir vereinbaren was zu essen und einigen uns auf Pizza.
Ich fürchte, du missverstehst mich. Mir geht es um das kursiv geschriebene, die Gesamtheit der Vereinbarungen betreffend der gemeinsamen Spielrunde. Das ist das Konzept, für das ich dich nach einem anderen Begriff gefragt habe.
Da wird nichts ersetzt und nichts verklärt, im Gegenteil. Ein Vertrag ist genau das: eine Sammlung von Vereinbarungen.
Darüber hinaus widersprichst du dir selbst: Ist der Begriff „Vertrag“ nun umgangssprachlich oder vermeintlicher fachsprachlich?
Und genau diese Art von Vereinbarungen werden innerhalb einer Rollenspielgruppe, die über längere Zeit besteht, zu Hunderten getroffen. Wenn man nun über diese Gesamtheit an Vereinbarungen als Konzept sprechen möchte, braucht man einen Begriff dafür. Und solange du mir keinen treffenderen, griffigeren nennen kannst, sehe ich „Vertrag“ weiterhin als passend dafür an. Nicht bös gemeint. 😉
Man sollte nicht unterschätzen, welche Aspekte alles von einem Gruppenvertrag abgedeckt sein können.
Ein Beispiel: Charakterbögen
Das war für mich lange Zeit implizit eine völlig eindeutige Sache. Jeder Spieler hat seinen Charakterbogen, ist dafür verantwortlich und nimmt ihn zwischen Spielrunden mit nach Hause. Evtl. liegt eine Kopie irgendwo online oder beim SL oder beides. Wenn er mal vergessen wird, ist das meistens kein Problem, liegt aber in der Verantwortung des Spielers selbst.
Nun hatte ich vor relativ kurzer Zeit zwei verschiedene Begegnungen, die diese vermeintliche Konvention aufbrachen:
– Ein Spieler bestand darauf, seinen Charakterbogen zwischen den Sessions bei mir (als SL) zu lassen – er würde ihn ja doch bloß verlieren und so wäre er dann beim nächsten Mal auf jeden Fall hier. Dadurch hatte er zwischen den Sessions dann keinen Zugriff auf den Charakter, konnte sich also nicht damit beschäftigen. Andererseits hatte er aber die Verantwortung auch an mich als SL abgegeben.
– Ein SL einer Spielrunde bestand darauf, alle Bögen nach der Session wieder einzusammeln und bei sich zu verwahren. Änderungen wurden nur während des Spiels bzw. in seiner Anwesenheit vorgenommen. Auf Nachfrage gab er an, es ginge ihm vor allem um radikalen Schutz vor Schummeln, darum, dass er Einsicht in die Bögen hätte, aber auch um Verlustvorbeugung.
Es können also sehr viele Kleinigkeiten vorkommen, bei denen Menschen vollkommen unterschiedliche Sichtweisen haben, die sie jeweils als implizit gegeben ansehen. Und dann eben auch nicht davon ausgehen, dass hier eine Absprache notwendig sein könnte. Natürlich muss man nicht über alles sprechen, kann sein, dass es zufällig gut geht. Genauso gut können aber auch Konflikte auftreten, wo man sie nicht erwartet hat.
Wie mit allen anderen Begrifflichkeiten aus dem theoretischen Bereich des Rollenspiels auch muss man sich mit dem Gruppenvertrag als „normaler Spieler“ nicht beschäftigen. Es wird erst dann relevant, wenn man sich tiefer mit der Materie beschäftigen möchte, beispielsweise wenn es in der heimischen Spielrunde nicht rund läuft oder man sich mit Rollenspielentwicklung beschäftigt. Der Begriff „Gruppenvertrag“ ist dabei auch schon was älter und stellt einen recht klar umrissenen Begriff und eine hilfreiche Terminologieerweiterung dar.